: Kampf um das richtige Erinnern
Norman Finkelstein sagt, er habe in „Die Holocaust-Industrie“ Peter Novick nur konsequent zu Ende gedacht. Doch diesem ist sein Epigone unangenehm
von BRIGITTE WERNEBURG
Zunächst schrieb er nur eine Rezension für die London Review of Books über Peter Novicks „The Holocaust in American Life“. Und diese Rezension war für Norman G. Finkelstein der Anlass, „The Holocaust Industry“ zu schreiben. Das erklärt er schon im zweiten Absatz seines Buchs. Doch mit „The Holocaust Industry“ gedieh zur wüsten Philippika, was in Peter Novicks Vorlage als solide akademische Analyse überzeugte.
Peter Novick war nicht glücklich über diese Zweitverwertung seiner Arbeit, das erklärte er offen in der Auseinandersetzung um Finkelsteins Publikation, die zunächst in England entbrannte. Jetzt erscheint „Die Holocaust-Industrie“ auf deutsch und auch Novick hat hier inzwischen einen Verleger gefunden, der seine Studie „Nach dem Holocaust“ veröffentlicht.
Ihre Bücher erscheinen jetzt nicht nur gleichzeitig im deutschsprachigen Raum, die beiden Autoren sind auch zur selben Zeit nach Deutschland gereist, um ihre Bücher zu präsentieren.
Peter Novick war auf Grund des Gegenstandes seiner Untersuchung von vorneherein auf eine politische Auseinandersetzung vorbereitet. Daher ist der preisgekrönte Geschichtswissenschaftler der Universität von Chicago auch allenthalben in seiner Untersuchung bemüht, rhetorische Vorkehrungen zu treffen, um ja nicht missverstanden zu werden. Diese Vorsicht in der Argumentation ist nun der Punkt, den sich Finkelstein in seinem Buch zu Nutzen macht. Warum spielt der Genozid, der nach dem Krieg weder in Amerika noch in Israel groß zur Sprache kam, heute eine so herausragende Rolle für das Selbstverständnis vieler amerikanischer Juden? Mit dieser Frage bahnte Peter Novick, so sieht es Finkelstein, den Weg, den er nun in aller Radikalität an sein vermeintlich richtiges Ende geht.
Die Amerikanisierung des Holocaust bedeutet, so Novick, seine generelle, also auch von Nichtjuden getragene Anerkennung als eine Art Zivilreligion, die einerseits identitätstiftendes Medium des säkularen Judentums ist und andererseits den Amerikanern das eigene militärische Engagement im Zweiten Weltkrieg als eine (nach Unabhängigkeits- und Bürgerkrieg) dritte Gründungsgeschichte ihres menschen- und bürgerrechtlichen Wertekanons er- oder auch verklärt.
Finkelstein sieht in diesem all-American Holocaust nichts anderes als die Instrumentalisierung von Geschichte und aktueller amerikanischer Politik durch das organisierte amerikanische Judentum zum Zweck der vorbehaltlosen Unterstützung „der verbrecherischen Politik des Staates Israel“. Dafür würden, so Finkelstein, den Opfern, den Überlebenden der Lager die ihnen zustehenden Entschädigungsgelder von den entsprechenden jüdischen Organisationen wie der Jewish Claims Conference vorenthalten. Wie es freilich Verschwörungstheorien so an sich haben: Die Faktenlage für Finkelsteins Behauptungen ist mehr als dünn.
Novick erzählt eine völlig andere Geschichte. Es ist zunächst einmal die Erfolgsgeschichte der gelungenen Integration und Assimilation des amerikanischen Judentums. Sie vollzieht sich aber im Rahmen eines universalistisch geführten Diskurses über die Kriegsgeschichte. Die jüdischen Überlebenden und Exilanten sahen sich zunächst als Teil einer größeren Gemeinschaft von Verfolgten des Naziregimes. Erst als sich in den späten Siebzigerjahren ein partikularistischer Diskurs durchsetzt, sind die Juden die einzigen wahren Opfer unvergleichbarer Leiden. Damit geht eine Sakralisierung des Holocausts einher, sein Katholischwerden in den identifikatorischen Formen der Erinnerung, wie sie in den amerikanischen Holocaust-Museen entwickelt wurden. Dieser Prozess ist es, der Novick, den liberalen und säkularen Juden, am meisten irritiert.
Warum aber gewann der partikularistische Diskurs zuletzt die Oberhand? Peter Novick sieht den Grund in der am Ende der Sechzigerjahre sozial gescheiterten amerikanischen Bürgerrechtspolitik. Dieses Scheitern hat den Rückzug der Schwarzen Gemeinde, aber auch der anderen Einwanderergruppen auf sich selbst begünstigt. Damit setzte die Ethnifizierung und Viktimisierung innerhalb des amerikanischen gesellschaftlichen Diskurses ein, wofür die gegenwärtige Erinnerung an den Holocaust die prominenteste, aber nicht alleinige Manifestation ist. Fragen von Macht und Einfluss sind damit natürlich verbunden, aber keineswegs in der von Finkelstein beschworenen Art einer Holocaust-Industrie.
Norman G. Finkelstein: „Die Holocaust-Industrie“. Aus dem Amerikanischen von Helmut Reuter. Piper, München 2001, 224 Seiten, 38 Mark;Peter Novick: „Nach dem Holocaust“. Aus dem Amerikanischen von Irmela Arnsperger und Boike Rehbein. DVA, München 2001, 350 Seiten, 44 Mark
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