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Angriff auf die Shopping-Malls

Mit Kettensägen gegen das nationale Säbelrasseln: Adam Simon beschreibt in „American Nightmare“ (Forum), wie sich Horrorfilmer in den Siebzigerjahren am Vietnamkrieg und anderen sozialen Realitäten made in USA abarbeiteten

Es ist eine Binsenweisheit, dass der Unterschied zwischen „angenehmer“ und „unangenehmer“ Angst mehr mit unserem eigenem Unbewussten zu tun hat als mit den Bildern, die dieses Gefühl von psychischem Unwohlsein hervorrufen. Ist es also die Kettensäge Leatherfaces, die in Tobe Hoopers 70er-Klassiker „The Texas Chainsaw Massacre“ verstört, oder die vage Vorstellung von dem, was sich hinter der aus gegerbter Menschenhaut gebastelten Maske verbergen könnte? Und wo kommt das Monster überhaupt her?

Hier liegt das Schreckenspotenzial des Psychokillers: Die sich schleichend ausweitende Ungewissheit der Herkunft und die asozialen, quasi antizivilisatorischen Verhaltensmuster des „Bösen“ transportierten den Seventies-Horrorfilm in eine Sphäre des Unfassbaren. Dabei war die explizite Gewaltdarstellung nur konsequente Fortführung des psychologischen Terrors.

Der amerikanische Autor und B-Movie-Regisseur Adam Simon ist nicht der erste Horror-Fan, der den Ursachen für die erstaunliche Welle an US-amerikanischen Splatterfilmen in den 70er-Jahren auf die Spur kommen will, aber seine Dokumentation „The American Nightmare“ zeigt die Wechselwirkung von gesellschaftlichen Realitäten und filmischer Reflexion im Horrorgenre am bisher deutlichsten.

Seine These: Nicht die sadistischen Massaker des Psychopathen Kruger aus Wes Cravens „Last House on the Left“ (schöner deutscher Titel: „Mondo Brutale“) oder die Zombie-Infanterie in George Romeros „Night of the Living Dead“ waren die Ursachen des Schreckens, sondern die lähmende Erkenntnis, dass diese bestialischen Rasereien letztlich nur das Produkt einer sozialen und politischen Realität sein konnten – ein künstlerischer Kommentar zu handfesten gesellschaftlichen Missständen.

Der Horrorfilm hat nicht zu Unrecht den Ruf eines reaktionären Filmgenres. Die strikten Polaritäten produzierten Modelle, in denen das Nichtnormative und Entstellte automatisch mit dem Bösen gleichgesetzt wurde. Simon führt mit Romero, Craven, Hooper, dem Special-Effects-Meister Tom Savini und Cronenberg jedoch Regisseure vor, deren Filme bewusst oder unbewusst auf soziale Umstände reagierten – ob mit unglaublich eruptiven Gewaltexzessen oder in radikalen Allegorien.

Schon Anfang der 80er erkannte die amerikanische Filmkritik in Romeros Zombie-Paraden den Marsch der Unterprivilegierten auf das Sinnbild des westlichen Kapitalismus: eine stadtähnliche Shopping-Mall. Im Gegenschnitt zu aktuellen Bildern aus amerikanischen Einkaufszentren ein mehr als amüsanter Rückkopplungseffekt.

Vietnam – der „American Nightmare“ schlechthin – und die aufgeheizte Stimmung nach der gewaltsamen Niederschlagung der Studentenproteste sind die Traumata, an denen sich Craven und Hooper aggressiv abgearbeitet haben. Simon ist Fan genug, seine Regisseure ihre Mythen weiterspinnen zu lassen. Aber er liefert auch ein grandioses Porträt dieser aufregendsten Phase des Horrorfilms, die gleichzeitig Geburtsstunde des amerikanischen Independentfilms war. ANDREAS BUSCHE

„American Nightmare“; Regie: Adam Simon, USA, 73 Min.

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