: Ehen nicht mehr vor Gericht
Hamburg führt Täter-Opfer-Ausgleich bei Gewalt in Partnerschaft ein – als Modellprojekt
HAMBURG taz ■ In den eigenen vier Wänden, sagt Hamburgs Gleichstellungssenatorin Krista Sager, schützt das Strafrecht Frauen nicht genügend vor Gewalt. Die Hansestadt hat daherdie Möglichkeit für Paare geschaffen, Gewaltkonflikte in einem Schlichtungsverfahren zu klären. Nach österreichischem Vorbild haben Gleichstellungsamt und Justizbehörde im Januar den Täter-Opfer-Ausgleich in Paarbeziehungen eingeführt – ein einmaliger Modellversuch.
Gestern stellten Sager und Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit das Projekt vor. Frauen, die von Ehemann oder Freund misshandelt werden, erstatten nur selten Strafanzeige oder ziehen diese wieder zurück, um die Probleme in der Beziehung nicht noch zu vergrößern. Kommt es zum Prozess, fühlen sich viele Frauen als bloßes Werkzeug der Strafverfolger und dadurch ein weiteres Mal gedemütigt.
Statt den Täter vor Gericht zu stellen, kann ihm von der Staatsanwaltschaft nun das Schlichtungsverfahren angeboten werden. Das setzt voraus, so Peschel-Gutzeit, dass er sich zu seiner Schuld bekennt und Verantwortung dafür übernimmt. Eine Psychologin und ein Sozialarbeiter führen mit beiden Gespräche. Der Mann wird darin mit seinem Verhalten und dessen Folgen für die Frau konfrontiert. Die Frau kann, anders als im Strafverfahren, ihre Bedürfnisse benennen und mit professioneller Hilfe durchsetzen. Am Ende wird ein Schlichtungsvertrag abgeschlossen, in dem der Täter etwa zusichert, die gemeinsame Wohung zu verlassen oder an einem Antigewalttraining teilzunehmen.
Gleichstellungssenatorin Sager hatte 1999 eine Studie über wirksamen Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt in Auftrag gegeben. Danach fliehen bundesweit im Jahr rund 40.000 Frauen mit ebenso vielen Kinder vor ihren Partnern ins Frauenhaus. Doch gerade 20 Prozent der Gewalttaten in Familien werden bekannt. Scham und die Ungewissheit, ob die Polizei überhaupt eingreift, halten Frauen von einer Anzeige ab. Lediglich 30 Prozent der Anzeigen werden von der Polizei an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Nur in 16 Prozent aller Fälle kommt es zum Prozess. ELKE SPANNER
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