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Hinter dem Spiegel ein Spiegel

Je länger man guckt, desto weniger weiß man, was man eigentlich sieht. „De Zee die denkt“ (Panorama) prüft in spielerischen, verwirrenden Einstellungen das poetische Verhältnis von Denken und Wahrheit, Illusion und Realität

Man berühre einen Tisch, man merkt, wie er sich anfühlt, man denkt, nun be-greife man etwas – und schon ist man in die Falle geraten. Es ist immer nur die Erinnerung, die uns etwas weismacht: Man denkt, man fühlt den Tisch, und spürt doch nur seine eigenen Fingerspitzen. Buddhistische Mönche versuchen dem zu entgehen, indem sie sich beispielsweise dreißig Jahre vor eine Vase setzen, um das Wesen der Vase zu erfassen.

Aber wir sind nicht in einem tibetischen Kloster, sondern in einem holländischen Film. „De Zee die denkt“ – da ist scheinbar alles gerade, flach und einfach. Aber wenn wir denken, wir seien glücklich, ist das gerade so wahr, wie wenn das Meer denkt, es sei ein Baum. Hinter der Oberfläche lauern Irrtümer und Abgründe. Wahrnehmungen sind Illusion, und für diese philosophische Plattitüde findet der Film originelle Einstellungen.

Schauplatz ist das Arbeitszimmer eines Autors. Um ihn herum ein Tohuwabohu und darin immer wieder ein klar umrahmtes Rechteck: ein Spiegel, das Fenster, eine Pinnwand, ein Bild, der Computer. Von den vielen Notizzetteln lesen wir einen: „Merkspruch: Es gibt keine Merksprüche“. Mag das noch als Kalauer durchgehen, so wird die Irritation größer, wenn der Spiegel zerbricht, und dahinter sieht man genau dasselbe wie vorher. Das Bild an der Wand zeigt einen Würfel à la Escher, bei dem man nicht weiß, wo hinten und wo vorn ist.

Doch dann kommt’s noch besser: Als unser Dichter-Autor zum dritten Mal grübelnd daran vorbeigeht, stößt er mit dem Kopf an den Würfel. Das Bild an der Wand entpuppt sich als dreidimensionaler Körper, der von der Decke herabhängt. Aber was heißt in einem Film schon dreidimensional? Oder umgekehrt: Eine Katze schreitet durchs Zimmer auf einen Stuhl zu, verharrt kurz und, so denkt der Beobachter, überlegt, ob sie zwischen den Stuhlbeinen hindurchgehen oder auf den Stuhl draufspringen soll. Dann geht sie einfach weiter – aber über die Sitzfläche, und jetzt sehen wir, dass der Stuhl auf den Boden nur aufgemalt ist.

Das schreibende Subjekt will seine bewegenden Fragen zu einem Filmscript verarbeiten: Leben wir in einer Traumwelt, oder träumen wir unser Leben? Glauben wir an eine Realität im Film, wenn wir die Bilder sehen? Was halte ich für wahr? Wer bin ich? Was ist Glück? Wir identifizieren uns mit dem Autor und begleiten ihn durch das wachsende Chaos seiner Studierstube; da hält dann das Bild an, läuft rückwärts, die Kamera zoomt zurück, die ganze Szene erscheint auf einem Monitor, und davor sitzen zwei Techniker, die sich profihaft gelangweilt darüber unterhalten, wo sie denn jetzt schneiden sollen. Das letzte Wort hat folglich die stumme Katze. Das Drehbuch ist fertig, alle Welträtsel sind wahrscheinlich gelöst, da springt sie auf den Schreibtisch, prüft die Tastatur des Computers, und die Pfote hebt sich über die Löschtaste . . . HELMUT MERKER

„De Zee die denkt“ von Gert de Graaf, Niederlande, 100 Min.

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