Im Flachland der Puppen

Wer steckt eigentlich hinter Samson? Wo kommen all die Sesamstraßen-Puppen her, die Jung – und auch Alt – seit Jahrzehnten in ihren Bann schlagen? Die taz war zu Besuch in Idstedt, nahe Flensburg, und zeigt exklusiv die Hintergründe auf

von SABINE STODAL

Hinter dem dunkelblauen Vorhang, der den hinteren Teil des Raumes abteilt, hängen Monster. Auf einem Stuhl hockt, in sich zusammengesunken, Pierre Littbarski. Im rot-weiß geringelten Trikot. Ohne Haare und ohne den für seine Popularität so entscheidenden Unterkörper. Daneben in der Ecke kauert ein lebloser Körper ohne Arme. Auf dem Boden liegt der abgetrennte Kopf eines riesigen Frosches. Wäre da nicht das Tischchen mit den bunten Sesseln drumherum, auf dem lecker Kaffee und extra vom Hausherrn besorgter Kuchen warten, man wähnte sich in der Verstümmelungsabteilung eines Gruselkabinetts.

Die Horrorvision ent-“puppt“ sich (im wahrsten Sinne des Wortes) als das Atelier von Peter Röders, seines Zeichens Puppenspieler und führender Film- und Fernsehpuppenhersteller Deutschlands. Und oben genannte angeschlagene Gesellen sind entweder nach langer Spielzeit auf dem Altenteil oder zur Reparatur hier.

In ihrem Friesenhaus im holsteinischen Idstedt bei Flensburg, lassen Peter Röders und seine Frau Claudia – sie ist ebenfalls Puppenspielerin und -bauerin –, Phantasiegebilde und Fernsehprominenz aus Schaumstoff und Latex das Licht der Welt erblicken. Dazu gehören neben oben genanntem Litti, der für die Sendung „ran“ konzipert war, auch der Rabe Rudi und sein sprechender Koffer aus der ZDF-Serie Siebenstein, Karlchen von RTL oder der kleine Drache Tabaluga. Figuren, von denen man die eine oder andere kennt.

Die jedoch Bedeutungsvollste in der Karriere des 55-Jährigen, entstammt nicht seiner Werkstatt. Dennoch wurde er mit ihr bei jedem kleinen und großen Kind im Land berühmt – zumindest indirekt. Denn wer sich noch an „Uijuijuijui! Lilo, Henning, Tiffy!“ erinnert, der erinnert sich damit auch an Peter Röders. Der aus der Lüneburger Heide stammende Diplom-Heilpädagoge, der sich das Puppenspielen in den siebzigerJahren nach dem Motto Learning by Doing selbst angeeignet hatte, steckte sechs Jahre lang im Fell des zotteligen Knuddelriesen Samson aus der Sesamstraße. „Manchmal“, erzählt Röders schmunzelnd, „kommen noch heute Leute aus dem Dorf, wenn sie Besuch haben, zu unserem Haus, klopfen bei uns ans Fenster und zeigen mich den Leuten: Schaut her, das ist Samson.“ Dabei liegt seine aktive Zeit als Bär schon siebzehn Jahre zurück. Eine Zeit, der Röders heute ambivalent gegenübersteht. „Man muss sich das so vorstellen: Das Fell wiegt knapp 25 Kilo. Man sieht nichts, außer einem kleinen Monitorbild auf Bauchhöhe und man ist immer durchgeschwitzt. Gedreht wurde während drei Monaten im Jahr. Anfangs war es eine tolle Herausforderung, denn die Figur Samson gab es ja noch nicht, die musste erst einmal kreiert werden. Aber nach ein paar Jahren ist einfach der Saft raus. Das ödet dann nur noch an.“

Er wollte raus aus dem Pelz und etwas anderes machen. Schon seit Beginn seiner Arbeit als Puppenspieler mit seiner eigenen Bühne in Kiel, hatte Röders „tage- und nächtelang in der Werkstatt gebrütet und herumgetüftelt“ und eigene Figuren entwickelt. Mit durchschlagendem Erfolg. Als er 1983 die Sesamstraße verließ, hatte er Herrn von Bödefeld in der Sendung etabliert. Der pinkfarbene Stänkerer mit den orange-roten Federhaaren war die erste und einzige deutsche Figur in der ARD-Sesamstraße. „Da mussten zuerst die Amerikaner um Erlaubnis gefragt werden, und die gaben sofort ihr Okay. Gut, ne?“, freut sich der stolze Puppenvater noch heute. Seither hat er alle Hände voll zu tun, und der Figurenbau fürs Fernsehen und die Werbebranche wurde zum lukrativsten Standbein seiner Firma Fabula Filmpuppen. Weil noch Idealismus und Elan übrig waren, veranstaltete er regelmäßig in seinem eigenen Haus mehrtägige Workshops für Berufskollegen aus dem Verband deutscher Puppentheater, dem etwa 120 der rund 600 deutschen Figurenbühnen angehören.

Erst seit der Geburt von Sohn Philip tritt der erfindungsreiche Künstler etwas kürzer. Besagter Knirps schneit während des Gesprächs ab und an herein, turnt auf seinem Papa herum, oder begibt sich im kreativen Chaos des Ateliers auf die Suche nach faszinierenden Fundstücken. Mit Feuereifer schleppt er verschiedenste Spielgefährten aus der Ideenschmiede seiner Eltern herbei. So kommt es, dass man sich unversehens den Tisch mit Rudi Rabe oder dem armlosen Überbleibsel des Herrn von Bödefeld teilt. „Das ständig Kreative powert einen doch auch aus. Die Arbeit mit den Fernsehfiguren ist oft sehr stressig, weil immer Termindruck ist“, sinniert Röders indes unbeirrt weiter. „Gleichzeitig ist das Schönste an dem Beruf die Vielseitigkeit. Ich kann Autor, Regisseur, Bühnenbauer, Puppenbauer, -spieler in einem sein.“ Um die Zukunft seines Standes macht sich Röders trotz televisionärer Konkurrenz durch Pokemons und Co. keine Sorgen. „Zum einen ist dank den Studiengängen für Figurentheater in Stuttgart und Berlin stets für Nachwuchs gesorgt. Zum anderen ist Puppentheater für Zuschauer aller Generationen immer noch ein Erlebnis.“

Im Lauf der Jahre ersann er um die zwanzig Stücke für kleine Zuschauer, mit denen er auf Tournee ging. Und wenn er – wie jetzt – mit beseelter Stimme aus seinen Geschichten vom abenteuerlustigen Igel „Superpaul“ oder dem „Weihnachtshasen“ erzählt, schlägt er einen sofort in seinen Bann. „Es gibt nichts Schöneres, als wenn 120 Kinder vor einem sitzen und einem gebannt an den Lippen hängen. Und wenn nach der Vorstellung Erwachsene zu uns kommen und sagen, dass sie bei den traurigen Szenen ihre Taschentücher zücken mussten, dann waren wir richtig gut. Dann sind wir zufrieden.“