: Kampnagel gegen Schauspielhaus
Auf die Hektik, mit der die halbe Theaterwelt ihre Suche nach den jungen Neuerern betrieb, folgt das Rollback
„Das Theater des 21. Jahrhunderts benötigt Frauen und Männer mit ganz anderen Kompetenzen und Fähigkeiten für die Führungspositionen als bisher. Theater sind nicht mehr nur Spielräume, sondern Denkräume, sie sind Orte der Reflexion und der Inszenierung. Die Intendanten der Zukunft müssen sich anderen Produktionsbedingungen öffnen und ästhetisch grenzüberschreitend arbeiten.“ (C. Bernd Sucher)
„Diese Antwort ist . . . richtig!“
(Hans Rosenthal)
Was muss ein Theaterdirektor im nächsten Jahrhundert können?, hatte der Leitartikel im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung im November 1999 gefragt. Die oben zitierte Antwort ihres Theaterredakteurs schien Tom Stromberg, der schon als Nachfolger von Frank Baumbauer an das Hamburger Schauspielhaus berufen war, genau wie der zukünftigen Frankfurter Intendantin Elisabeth Schweeger geradezu auf den Leib geschrieben. Gegen das „Karussell der arbeitslosen Theaterleiter“, deren „Verfallsdatum künstlerisch längst abgelaufen ist“, richtete sich der Artikel und gegen die „Länder- und Stadtpolitiker, die Quereinsteigern ganz selten nur eine Chance“ einräumen und immer wieder „die Falschen wählen“.
In der Tat: Lässt man die Berufungsentscheidungen der Kulturpolitiker der letzten zwei Jahre Revue passieren, so hält sich deren Mut und Risikobereitschaft – mit wenigen Ausnahmen – sehr in Grenzen. Allem Gerede über die Notwendigkeit der ästhetischen und strukturellen Erneuerung des Theaters im Angesicht der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zum Trotz. Nach der grenzenlosen Hektik, mit der vor noch nicht allzu langer Zeit die halbe deutsche Theaterwelt die verzweifelte Suche nach vor allem jungen Neuerern betrieb, scheint jetzt das Rollback auf Touren zu kommen. Nach dem Motto: Was kümmert mich mein Gerede von gestern oder: So haben wir es nicht gemeint!
Da nimmt der langjährige kaufmännische Geschäftsführer des Deutschen Schauspielhauses seinen Hut, weil das Theater des neuen Intendanten (und seine Arbeitsweise, vielleicht auch seine Berufsauffassung) seine Sache nicht ist – und schon gehen die Kulturkritiker in der Hauptsache zum Zuschauerzählen ins Theater und fordern – von der Woche bis zum Stern – die mutige Kultursenatorin zum Handeln, sprich zum Auswechseln des Kapitäns auf. Der Spiegel teilt in seiner jüngsten Ausgabe sogar mit, dass er schon immer wusste, dass die Entscheidung von „Christina Weiss, 47“ für Stromberg „aberwitzig“ war. (Hätte sie doch bloß nicht vergessen, vorher den Spiegel-Redakteur Wolfgang Höbel zu fragen!)
So wie der schnell verrauschende Kult um die Jungen zeigt die gegenwärtige Treibjagd auf Stromberg (und Frau Schweeger in Frankfurt wird das sicher gespannt verfolgen) vor allem eines: Die Aufgabe, die deutsche moralische Anstalt in der Tradition des 18. und 19. Jahrhunderts in Gegenwartstheater zu transformieren, wird nicht ernst genommen. Wie schrieb doch C. Bernd Sucher damals? „. . . dass das Gegenwartstheater und in weit größerem Maße noch das zukünftige gar nicht mehr so funktioniert wie das vergangene: dass die bildende Kunst, die Performance, das Fernsehen, Clip und Techno, die Action und die Internet-Website Einzug gehalten haben auf der Bühne.“ Wohl wahr! Und ebenso wahr ist, dass das Theater als Museum seiner selbst weder eine erfreuliche Perspektive darstellt noch über relevante Überlebenschancen als kulturelles Medium verfügt.
Die (halbherzigen) Lobpreisungen, mit denen derzeit die Arbeit von Kampnagel in Hamburg gegen Stromberg ins Feld geführt wird (Das gibt’s doch schon! Das passt doch nicht in die Kathedrale des Schauspielhauses!), sind nicht nur fadenscheinig, sondern heuchlerisch. Der Angriff richtet sich gegen die wenigen, hart erkämpften oder mutig errungenen künstlerischen Inseln im Meer des musealen Traditionalismus, auf denen ernsthaft und mit langsam, aber stetig wachsendem Erfolg an der Herstellung von Gegenwartstheater gearbeitet wird. Was Strombergs Arbeit am Schauspielhaus hierfür leistet, wird später zu bilanzieren sein – wenn er das konservative oder besser: im besten Wortsinne reaktionäre Kesseltreiben überlebt.
HENNING FÜLLE
Der Autor ist Dramaturg bei Kampnagel Hamburg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen