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Zeig doch mal die Deutschen

Ein absolutes Muss für Vertriebene: „Kurische Nehrung“ von Volker Koepp (Forum) präsentiert schönen Revanchismus

Ein Wagnis ist Volker Koepp eingegangen, scheinbar ohne es selbst zu bemerken. Einen kleinen Film zwischendurch wollte er mal drehen, nach dem Erfolg von Zwilling & Zuckermann, sagt er. So ist Koepp also gen Osten gereist, scheinbar mit ganz viel Sehnsucht nach Landschaft im Gepäck. Fast zärtlich zeigt uns sein Kameramann Thomas Plenert Bilder einer verwunschenen Landschaft an der Ostsee. Die Farben und Lichter des Tages über dem Meer komponiert Koepp zu einer Hommage an die „Kurische Nehrung“. So weit, so schön.

Koepp will uns eine Welt zeigen, die es eigentlich gar nicht mehr gibt. Die Kurische Nehrung ist eine Landzunge, die unterbrochen wird von der russisch-litauischen Grenze. Auf russischer Seite gelangt man irgendwann nach Kaliningrad (Königsberg). Koepp zeigt zwar die Landstraße, aber nicht die Grenze. Was ihn interessiert, sind die letzten Deutschen, die in der Region noch leben. Und so lässt er seinen Film spielen in Nida (Litauen) und Rybatschi (Russland), allerdings wissen wir oft gar nicht, wo uns Koepp gerade rumführt.

Nicht nur das führt zu dem fatalen Eindruck, Koepp mache sich zu einem Propagandisten eines revanchistischen Geschichtsbildes, das die heutigen Verhältnisse negiert. Koepp will uns nichts erzählen über Litauen und dessen gegenwärtige Probleme und er will auch nicht über das russische Gebiet erzählen, das Jahrzehnte eine riesige Militärlandschaft war, die man nicht bereisen konnte. Koepp imaginiert sich einen im günstigsten Fall unpolitischen Heimatfilm zusammen. Wenn Renate (seine Hauptzeugin für überlebendes deutsches Brauchtum) von dem schönen alten Nidden schwärmt mit seinen 55 Schiffen im Hafen und dem Kartoffelacker vorm großen Haus, dann zeigen sie und ihre Verwandtschaft aus Hagen auf alte Postkarten und immer ist der Unterton: Ja, damals (Jahreszahlen verschweigt man tunlichst) war alles noch in Ordnung, aber dann . . .

Wer jemals selbst in der Gegend war, der weiß, dass die „Deutschen“ im Baltikum von einem „damals“ reden, das die Wehrmacht als Befreiungsarmee von Stalins Truppen versteht. Eine nicht nur klammheimliche Freude. Im Baltikum gab es die meisten Freiwilligen für Hitlers Schergen, vor allem auch für die SS. Noch heute feiert man in Riga jedes Jahr ganz offiziell einen Umzug von SS-Veteranen.

All das muss Koepp natürlich nicht interessieren. Lassen wir ihm seine Beeren im Glas und seine Renate, die das blitzblanke Nidden noch sauberer fegt. Er muss uns keinen Laden mit Coladosen zeigen oder Neureiche mit Yachten. Er darf die Russen als archaische Fischer im Dreck zeigen, sie so gut wie nicht befragen. Als Koepp eine junge Bernsteinhändlerin fragt, wohin sie gern reise, und diese nicht Königsberg antwortet, fällt ihr Koepp ins Wort. „Deutsche“ wie Renate dagegen memorieren die guten alten Zeiten ungeschnitten über fünf Minuten.

Koepps Film dürfte viel Beifall finden von deutschtümelnden Vertriebenen, für die Memel Memel bleibt und die sich weigern, die litauischen Namen für die Stadt und den Fluss auch nur auszusprechen. ANDREAS BECKER

„Kurische Nehrung“, Regie: Volker Koepp, Deutschland, 92 Min.

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