der buchtipp: Integration mit Hürden
Deutsches Leben der Libanesen
Als im libanesischen Bürgerkrieg zwischen 1975 und 1989 Hunderttausende das Land verlassen mußten, gingen viele dorthin, wo es bereits ausgewanderte Bekannte und Verwandte gab. Die Wohlhabenden und Geschäftsleute gingen nach England, Frankreich und Südeuropa. Diejenigen, die keine Kontakte hatten, entdeckten Deutschland. Es kamen libanesische Schiiten aus den armen Vororten Beiruts und aus dem Süden des Landes, Kurden und Palästinenser aus den Flüchtlingslagern.
Ralph Ghadban, der jahrelang in der Beratungsstelle für Araber des Diakonischen Werks arbeitete, untersucht, wie sich die deutsche Flüchtlingspolitik auf die Lebenssituation dieser Menschen ausgewirkt hat. Er befragte 1988 eine repräsentative Anzahl von Familien. Zu diesem Zeitpunkt hielten sich fast 80 Prozent von ihnen länger als fünf Jahre in Deutschland auf. Aber sie lebten völlig isoliert von der deutschen Umgebung. Das beste Beispiel ist die Ausbildung der Jugendlichen. Eine Fülle von Gesetzen, Regelungen und Vorschriften war oftmals eine unüberwindliche Hürde für die jungen Leute, eine Berufsausbildung aufzunehmen.
Sieben Jahre später führte Ghadban nochmals eine Befragung durch, die auch soziale und kulturelle Aspekte, wie etwa die Erfahrung von Diskriminierung oder die Kontakte zur deutschen Gesellschaft, mit einbezog. In der Zwischenzeit hatten die befragten Libanon-Flüchtlinge einen gesicherten rechtlichen Status bekommen. Viele nahmen die deutsche Staatsbürgerschaft an.
Das wichtigste Ergebnis dieser zweiten Befragung war nicht die Verbesserung der Lebensverhältnisse oder die vielfach positive Einstellung zur deutschen Gesellschaft, sondern dass ganze Lebensbereiche den Einflüssen der deutschen Gesellschaft verschlossen blieben. Die eigene Gruppe tritt an die Stelle der Umwelt. Die Kinder werden mit Landsleuten aus dem engeren Bekanntenkreis verheiratet. Im Restaurant oder Lebensmittelladen werden Freunde beschäftigt. Privat herrschen teilweise Verhältnisse, die im Libanon längst nicht mehr möglich sind. Alle befragten Männer haben beispielsweise ihren Frauen verboten, außer Haus zu arbeiten.
Nach Ralph Ghadbans mehrjähriger Beobachtung sind diese Verhältnisse eine Spätfolge der deutschen Flüchtlingspolitik. Wenn es den Flüchtlingen unmöglich ist, ihr Leben in der deutschen Gesellschaft zu organisieren, dann gestalten sie es außerhalb von ihr. MONA NAGGAR
Ralph Ghadban: „Die Libanon-Flüchtlinge in Berlin. Zur Integration ethnischer Minderheiten“. Das Arabischer Buch, Berlin 2000, 48 DM
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