piwik no script img

schnittplatzGott mit dir, du Kurier der Bayern

Noch steht sein Name im Impressum, ein großer Name, bürgend für Bürgerliches. Doch Wilfried Scharnagl, lange Jahre Chefredakteur des CSU-Organs Bayernkurier und einflussreicher Parteifunktionär, mussten wir mit wohligem Schauern vernehmen, wird seinen angestammten Posten verlassen, sich „neuen Aufgaben“ zuwenden. Dabei erscheint auf den ersten Blick alles doch so vertraut: Der blaugrüne Druck, die schönen Farbbilder von CSU-Granden auf der Titelseite, auch die wahrlich überraschenden Überschriften: „Ein starkes Team für Bayern“ überschreibt, wie seit Urzeiten üblich, Scharnagl persönlich seinen schönfärberischen Jubelartikel zur jüngst missglückten Regierungsumbildung in Bayern. „Die SPD spielt falsch“, heißt es weiter unten auf der Titelseite, und das Thema des betreffenden Artikels ist wie eh und je egal. Doch dann wandert der Blick noch mal nach oben, über den Kopf des Titelblatts, und wie ein Donnerschlag fährt hier die Ankündigung eines Enthüllungsartikels auf den bis dahin noch gemütlich dösenden Bayernkurier-Leser hernieder: „Wankmiller-Sekte in Füssen: Widerwärtige Orgien (Seite 3)“. Ja sakrament, was für Schweinereien mögen da vor sich gehen, fragt er sich beim Umblättern, und dann fällt ihm fast das Weißbierglas aus der Hand: „Widerwärtige geheime Sexorgien“ sind es nämlich, und im folgenden Artikel wird diese These auf eine für den Bayernkurier sehr ungewöhnliche Weise präzisiert, genüsslich zitiert der Autor Sebastian Sigler aus einem 1985 erschienenen Heft mit Namen „First Love Nr. Sex“, und ihm ist es zu verdanken, dass die Leser en detail erfahren, wem bei der Füssener Sekte wessen „Samen am besten schmeckt“. Und noch ein weiteres Belastungsindiz hat Sigler recherchiert: Da hat doch glatt der Spielkamerad eines Nachbarkindes im Streit gerufen: „Eines Tages gehört Füssen uns!“ Für den Bayernkurier ist damit klar: „Der Wankmiller-Clan plant offenbar seinen weiteren Vormarsch.“

Die Erregung ist groß. Bevor sie zu groß wird, blättern wir lieber um. „Alkohol am Steuer: Für Regeln, die wirklich helfen“ wirbt hier Eduard Lintner (CSU). Und natürlich ist er gegen eine Herabsetzung der Promillegrenze. Wie beruhigend. Danke. Da hätten wir tatsächlich kurz geglaubt, der Bayernkurier würde sich ändern. STEFAN KUZMANY

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen