: „Kino löst keine Revolutionen aus“
„Aber ich denke, Regisseure haben die Aufgabe, sich sozialer Probleme anzunehmen.“ Ein Gespräch mit dem Regisseur Stavros Ioannou über seinen Film „Klisti Dromi“, griechische Flüchtlingspolitik, Gettos in Athen und die Ausweglosigkeit
Interview: DANIEL BAX
Transitraum Athen: Ayad, ein kurdischer Flüchtling, sucht in Griechenland Hinweise auf den Verbleib seines Bruders Ahmed, der verschollen ist auf der Flucht aus dem Heimatdorf im Irak ins sichere Europa. Auf dem Koumoudourou-Platz in Athen, wo hunderte kurdischer Flüchtlinge ihr Lager aufgeschlagen haben, trifft Ayad Zirek, der den Bruder in der Zeltstadt kennen gelernt hat, bevor der sich einer Schlepperbande anvertraut und auf die gefährliche Überfahrt nach Italien gemacht hatte. Mit dokumentarisch anmutenden Handkamera-Bildern hat der griechische Regisseur Stavros Ioannou einen Film über das Leben in der Illegalität gedreht und über das Schicksal kurdischer Flüchtlinge, das sonst hinter nüchterner Zeitungsmeldungen verschwindet.
taz: Sie sind in Griechenland als Dokumentarfilmer bekannt. Warum haben Sie mit „Klisti Dromi“ dieses Terrain erstmals verlassen und einen überwiegend fiktionalen Film gedreht?
Stavros Ioannou: (lacht) Das fragen alle Journalisten. Nun, ich wollte die Charaktere der handelnden Personen hervorheben. Hätte ich einen Dokumentarfilm gedreht, hätte ich außerhalb ihres Lebens bleiben müssen. Es gab natürlich noch andere Gründe. So hätten wir niemals einen Film drehen können, der die echten Menschenschmuggler und Mafiosi zeigt oder den tatsächlichen Grenzübertritt.
Trotzdem haben Sie in Ihrem Film auch dokumentarische Bilder verwendet und journalistisch recherchiert ...
Bevor wir das Drehbuch schrieben, haben wir ausführliche Gespräche geführt, um herauszufinden, was dort abgeht. Wir wussten ja so gut wie nichts über diese Leute.
Wie kamen Sie auf das Thema?
Dass am Koumoundourou-Platz in Athen so ein Getto entstanden ist, habe ich selbst gesehen. Daraus ist dann meine Motivation erwachsen, einen Film über die Menschen dort zu drehen – über ihre Träume, ihre Kraft und ihren Stolz.
Gibt es über das Schicksal der kurdischen Flüchtlinge in Griechenland eine öffentliche Debatte?
Eine ganze lange Weile hat sich niemand darum gekümmert. Aber als sich dann irgendwann über tausend Kurden auf dem Platz angesammelt hatten und dort zum Teil über ein Jahr kampierten, haben die Anwohner sich an die Regierung gewendet. Die Polizei hat dann den Platz geräumt und ihnen andere Orte in der Umgebung von Athen zugewiesen. Weil die Zahl der Migranten aus dem Osten so hoch ist, gibt es einfach nicht genug Plätze, um sie aufzunehmen. Es gibt keine organisierte Flüchtlingspolitik in Griechenland. Deutschland kennt schon seit vielen Jahren Zuwanderung. In Griechenland dagegen ist das ein einigermaßen neues Phänomen.
Wie reagiert man darauf?
Die meisten Leute hören nur davon, wenn die Polizei mal wieder ein Boot voller Flüchtlinge aufgreift. Oder wenn Kurden eine Botschaft besetzen, dann sehen sie darin nur die heroische Seite. Sie beschäftigen sich nicht tiefer gehend mit dem Problem. Mit unserem Film wollten wir die Individuen zeigen, die gewöhnlich namenlos bleiben.
Wo haben Sie Ihre Schauspieler gefunden? Auf dem Platz?
Ja. Wir sind dort sehr häufig hingegangen, um mit den Menschen zu reden. Dort haben wir auch die fünf jungen Männer kennen gelernt, aus deren Geschichten das Drehbuch entstanden ist und unter denen wir die Rollen aufgeteilt haben. Weil alle Schauspieler Amateure waren, mussten wir viele Szenen oft wiederholen. Aber ohne diese Darsteller wäre unser Film nicht so aussagekräftig geworden.
Ihr Film handelt von Menschen in der Ilegalität. Gab es da nicht auch viele Leute, die nicht gefilmt werden wollten?
Ja, sicher. Aber wir hatten, nicht zuletzt aus finanziellen Gründen, nicht die Möglichkeit, den Platz anderswo nachzustellen, und das war auch gut so. Für mich hat dieser Platz etwas von einer Theaterbühne. Wir haben aber lediglich eine Ecke des Platzes in Beschlag genommen und uns bemüht, die anderen Menschen nicht zu sehr zu stören. Darum haben wir auch keine Scheinwerfer benutzt, nur wenig Licht. Dieses Vorgehen haben wir auf den gesamten Film übertragen – auch an Orten, wo wir die Möglichkeit gehabt hätten, mehr Licht einzusetzen. Wir dachten, das wird dem Thema gerecht.
Was wollten Sie mit Ihrem Film bewirken?
Ich glaube nicht daran, dass das Kino Revolutionen auslösen kann. Aber ich denke, Regisseure haben die Aufgabe, sich sozialer Probleme anzunehmen. Ich bin der Meinung, dass Europa vor einem großen Problem steht, was die Migration aus dem Osten angeht. Diese Wanderungsbewegung entspringt dem ökonomischen Ungleichgewicht zwischen Ost und West, und ich bin überzeugt, wir stehen erst am Anfang dieser Entwicklung. Ob wir wollen oder nicht, wir müssen uns damit auseinander setzen und mit diesen Menschen reden.
Wo leben die Darsteller heute?
Einer lebt in Deutschland, zwei in Holland, einer in Italien, und einer ist noch in Griechenland. Manche haben keine Papiere. Aber sie bleiben in Bewegung, selbst wenn sie einen Platz zum Leben gefunden haben.
Der Film endet mit einer Selbstverbrennung. Das ist ein sehr fatalistischer Schluss ...
Die Schlussszene sollte das Motiv der Ausweglosigkeit untersteichen. Ich bin aber der Überzeugung, dass die Realitäten noch viel schlimmer sind als dieses Ende.
„Klisti Dromi. Roadblocks“. Regie: Stavros Ioannou. Mit Hussein Abdulah, Falaha Hasan. Griechenland, 95 Min.
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