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Moralpredigt statt Dunking

Ohne Alonzo Mourning gewinnt das Ostteam das All-Star-Game der NBA gegen den Westen mit 111:110. Der nierenkranke Center aus Miami sammelt derweil Geld für eine Stiftung und hält Vorträge

aus Washington MARKUS VÖLKER

Zu Beginn der Predigt werden Sweatshirts verlost. Ein Reporter des Fernsehsenders TNT wirft sie unter die Studenten. Dann ergreift ein Mann das Wort, dessen Hände so groß sind wie Bratpfannen und dessen überdimensionale Füße die XXL-Flossen des Schwimmers Ian Thorpe noch übertreffen. Der Saal jubelt, als Alonzo Mourning (31) einen gutturalen Ton ins Mikrofon raunzt. Der Basketballer der Miami Heat ist erschienen, um den Studenten der Georgetown University zu erklären, wie man im Leben vorankommt, wie die richtige Einstellung zu finden ist und wie weit es mit der nationalen Dreifaltigkeit aus Moral, Patriotismus und Glauben her ist.

Eigentlich sollte Mourning auf dem Parkett des MCI-Centers in Washington stehen, um Körbe zu werfen. 917.866 Fans haben weltweit ihre Stimme für den Center abgegeben und gehofft, dass er ein paar Würfe beim All-Star-Game nehmen würde. Aber Mourning hat seit Oktober nicht mehr trainiert. Bei einer Routinekontrolle stellten die Ärzte eine schwere Nierenerkrankung fest. Fokal-segmentale Glomerulosklerose nennen sie die Mediziner. Im Verlauf der Erkrankung werden immer mehr Proteine mit dem Urin ausgeschieden. Sean Elliott von den San Antonio Spurs musste sich deswegen vor zwei Jahren eine Spenderniere transplantieren lassen. Wegen dieser beiden Fälle kamen Spekulationen auf: Die Nierenschäden gingen auf die Einnahme von muskelaufbauenden Steroiden zurück, hieß es. Am New Yorker Columbia Presbytarian Hospital gehen die behandelnden Ärzte jedoch davon aus, dass weder Anabolika noch Drogenmissbrauch, geschweige denn eine HIV-Infektion die Auslöser sind.

Ein Dutzend Tabletten wirft Mourning täglich ein, zumeist Corticoide und ein Medikament namens Cyclosporin. Sie haben ihn gezeichnet. 15 Kilo hat er abgenommen, selbst bei einem Gewicht von 135 Kilo keine Kleinigkeit. Prompt ging seine Form verloren. Momentan ist wenigstens die Gefahr einer Dialyse und Organverpflanzung gebannt. Mourning ist aber weit davon entfernt, an der Seite von Vince Carter und Kobe Bryant die Basketballfans mit spektakulären Dunks oder blinden Pässen zu begeistern. Ohne ihn gewann der Osten am Sonntag das Spiel der All-Stars mit 111:110 gegen das Team aus dem Westen. Allen Iverson von den Philadelphia 76ers wurde als wertvollster Spieler ausgezeichnet.

Derzeit ist Mourning lediglich in der Lage, ein wenig zu joggen, leichte Gewichte zu stemmen und ein paar Bälle zu werfen. Mehr nicht. Es käme einem Wunder gleich, wenn er schon im Frühjahr wieder spielen könnte, sagt der Arzt der Miami Heat, Victor Richards. Vor einem Jahr noch wurde Mourning als bester Abwehrspieler der NBA geehrt und belegte Platz drei bei der Wahl zum wertvollsten Basketballer der Liga. Heute sagt Mourning, die Krankheit habe einen anderen Menschen aus ihm gemacht. Der 2,10 Meter große Profi ist in einer streng religiösen Familie aufgewachsen. „Gott entscheidet am Tag des Jüngsten Gerichts darüber, wer du bist“, sagt er in der voll besetzen, dunkel getäfelten Gaston Hall auf dem Campus der Georgetown University – und die Studenten applaudieren stürmisch.

Ruhiger, viel ruhiger sei er geworden, gesteht Mourning. Auf jeden Fall will er sich Zeit lassen mit der Rückkehr. „Ich habe die Schmerzen immer ignoriert, bin aufgelaufen, habe über die Verletzungen drübergespielt und bin immer zu früh zurückgekommen.“ Er sagt: „Und diesmal ist es auch kein Nasenbeinbruch, wo man einfach mit Gesichtsmaske auflaufen kann.“

Mourning, der einen mehrjährigen Vertrag über 210 Millionen Mark abgeschlossen hat, ist in seiner Funktion als „Südstaatenprediger“ (Washington Post) auch zu seinen All-Star-Kollegen gepilgert, um Spenden für seine Stiftung gegen degenerative Nierenerkrankungen zu sammeln. Acht Millionen Mark sollen zusammenkommen. Mourning trägt die Hälfte. Dikembe Mutombo (Atlanta Hawks) schrieb einen Scheck über 100.000 Mark aus. Patrick Ewing, der Altmeister in Diensten der Seattle SuperSonics, bot seinem Freund unlängst sogar an, eine Niere zu spenden.

So weit würde David Stern nicht gehen. Aber man sah dem Chef der NBA an, dass er Mourning lieber heute als morgen wieder spielen sehen möchte. Die Mischung aus religiöser Inspiration und absolutem Sportsgeist ist Stern sehr willkommen, vor allem in Zeiten, in denen es mit der NBA leicht bergab geht. Die TV-Quoten sind im Keller, viele Plätze in den Arenen bleiben frei. Das Offensivspiel ist ins Stocken geraten, vielen, vor allem jungen Spielern, ist es ein Vergnügen, das konservative Rollengefüge der Liga aufzubrechen.

Am vergangenen Wochenende tagte deshalb so etwas wie eine Task Force der NBA, um die Marke aufzupolieren. Stern, Spieler sowie 29 Vereinsvertreter sprachen über Veränderungen. „Wir müssen jeden Aspekt des Spiels neu beleuchten. Wir wollen schließlich weiterhin das Wachstum sichern“, sagte Stern. Nachgedacht wird über eine Raumverteidigung, die Veränderung der Angriffszeit (von 24 auf 30 oder aber sogar weniger als 24 Sekunden), eine Eindämmung des so genannten Isolation Play, bei dem eine 1:1-Situation vor dem Korb simuliert wird, die Topangreifer übervorteilt. Zudem schlägt Stern eine Altersbegrenzung in der NBA von 20 vor (zur Zeit: 18 plus Highschoolabschluss); und er will Stipendien für talentierte Collegespieler ausschreiben, hauptsächlich um seine, also „die beste Liga der Welt“, vor jungen Heißspornen zu schützen. „Ich will einen Wandel, aber einen langsamen Wandel“, sagt Stern.

In Alonzo Mourning hätte er einen Fürsprecher. „In meinem ersten Collegejahr war ich richtig dumm“, erinnert er sich. „Ich habe viele Fehler gemacht und musste erst lernen, richtige Entscheidungen zu treffen.“ Nun sei er in der Lage, nicht nur sich, sondern auch anderen zu helfen. Die Predigt neigt sich dem Ende zu. Ein MTV-Girlie hüpft noch schnell durch die Alma Mater, bevor Pater Mourning das Wort zum Sonntag spricht: „Hey Leute, versucht positiv zu bleiben, okay?“ Das Auditorium rast.

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