: Erste UNO-Luftbrücke zu Flüchtlingen
Hunderttausende Afghanen sind vor Dürre und Bürgerkrieg geflohen. Jetzt sind sie von Kälte und Hunger bedroht. Das Welternährungsprogramm hat Schwierigkeiten, die Lager zu versorgen. Pakistan weicht die UN-Sanktionen auf
NEU-DELHI taz ■ Nach dramatischen Appellen von UNO, Weltbank und der pakistanischen Regierung ist am Samstag erstmals eine Luftbrücke zur westafghanischen Stadt Herat eingerichtet worden, die einem Teil der dortigen rund 80.000 Binnenflüchtlinge Zelte, Decken, Wasser und Nahrungsmittel brachte. In den letzten zehn Tagen sind wegen des extrem kalten Winters allein in den sechs Lagern außerhalb der Stadt 480 Menschen erfroren, darunter 220 Kinder. Hunger und Krieg haben außerdem seit September letzten Jahres 170.000 Menschen zur Flucht ins benachbarte Pakistan gezwungen. Knapp die Hälfte davon kampiert in bitterer Kälte unter Plastikplanen in der Nähe von Jalozai im offenen Feld. Und im Norden des Landes leben immer noch 10.000 gestrandete Flüchtlinge auf Inseln im Piandsch-Fluss an der Grenze zu Tadschikistan. Die tadschikische Regierung hat ihnen bisher einen Grenzübertritt verwehrt. Sie können weder von Süden noch von Norden aus betreut werden, viele der 6.000 Kinder sollen inzwischen an Malaria und Typhus gestorben sein. Innerhalb Afghanistans sind über eine Million Menschen auf der Flucht.
Obwohl die Hilfsgütertransporte nun eingesetzt haben, bezweifelt der UNO-Beauftragte für Afghanistan, Erick de Mul, dass so weitere Opfer verhindert werden. Täglich kommen 300– 500 neue Flüchtlinge in die Lager von Herat, und in Jalozai wurden bisher keine Hilfsgüter verteilt, weil die Organisationen befürchten, dass sie einen Massenansturm auslösen könnten. Die Weltorganisation hat Ende letzten Jahres in einem internationalen Hilfsappell 229 Millionen Dollar gefordert – bisher sind aber nur 7,3 Millionen eingetroffen. Damit soll eine Hungersnot verhindert werden, die laut Welternährungsprogramm immer wahrscheinlicher wird, weil der Winterregen ausgefallen ist und es nach der Dürre im letzten Jahr an Saatgut fehlt. Falls es nicht gelingt, 2,2 Millionen Menschen bis zum Sommer mit 176.000 Tonnen Getreide zu versorgen, ist die Hälfte von ihnen vom Hungertod bedroht.
Die in der dritten Januarwoche in Kraft getretetenen Sanktionen gegen das Taliban-Regime berühren humanitäre Aktionen offiziell nicht. Sie haben aber einen Verzögerungseffekt, etwa bei den finanziellen Verpflichtungen von Geberstaaten. Auch Grenzübertritte wurden dadurch erschwert. Neben Tadschikistan hat auch Iran seine Grenze abgeriegelt, offiziell, um ein Übergreifen des Terrorismus zu unterbinden. Pakistan ist nicht mehr bereit, die Hauptlast des Flüchtlingselends zu tragen. Die Regierung hat dem UNO-Flüchtlingswerk nicht gestattet, das Lager von Jalozai als „Flüchtlingslager“ einzustufen und so die Einrichtung von Wasserstellen und Toiletten zu ermöglichen. Letzte Woche schob sie erstmals wieder Afghanen ab, um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, die Lager sollten innerhalb Afghanistans eingerichtet werden.
Pakistan beherbergt immer noch über 2 Millionen Flüchtlinge des Bürgerkriegs. Diese sind nicht nur eine wirtschaftliche und soziale Belastung, sie dienen auch der Rekrutierung und Ausbildung radikaler Islamisten. Die humanitäre Katastrophe gibt Pakistan Gelegenheit, die scharfen Sanktionen der UNO aufzuweichen. Der Hauptverbündete der Taliban hat sich den Maßnahmen, welche die Islamkämpfer zur Herausgabe des mutmaßlichen Terroristen Ussama Bin Laden zwingen sollen, zwar offiziell angeschlossen. Islamabad macht aber kein Hehl aus seiner Überzeugung, dass dies die falschen Mittel sind. Vergangene Woche reiste Innenminister Moinuddin Haider nach Kabul, um mit den Taliban Gespräche zu führen. Er kehrte mit dem Kompromissvorschlag zurück, dass Bin Laden vielleicht in einem islamischen Staat vor Gericht gestellt werden könnte. Die Idee wurde aber vom Informationsminister in Kabul umgehend mit der Bemerkung korrigiert, die Regierung werde sich nicht dazu hergeben, Bin Laden zum Wegzug aus Afghanistan zu zwingen.
BERNARD IMHASLY
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