: Das Leben nach dem Kinoboom
Plex und hopp: Zehn Jahre nach der Eröffnung des ersten Multiplex-Kinos in Deutschland ist Ernüchterung eingekehrt. Die kleinen Kinos haben gelitten, und die Multiplex-Ketten kämpfen um einen voraussichtlich schrumpfenden Markt
Der Multiplex-Traum ist ausgeträumt. Und die Schlacht um die besten Kinostandorte nimmt sich nun aus wie der Kampf zwischen King Kong und Godzilla.
Erstes Opfer in der Entscheidung über den deutschen Kinomarkt der Zukunft war bereits vor einem Jahr die Düsseldorfer Kinokette Ufa. Dem Riesenunternehmen war die Puste ausgegangen, und das ganze Imperium daraufhin in die Hände des einstigen Erzrivalen Flebbe gewandert. Dessen Hamburger Cinemaxx-Unternehmen gerät nun allerdings selbst unter Druck und hat einen radikalen Sparkurs eingeschlagen. Das bedeutet, dass für 150 der konventionellen Leinwände aus dem Ufa-Erbe der Vorhang endgültig fällt, während die eigenen Multiplexe mit dem Markennamen Cinemaxx tabu sind – schließlich ist man börsennotiert. Demnächst werden aber auch die ersten Multiplexe aus ehemaligem Ufa-Besitz folgen, sobald die recht frischen Pachtverträge dies irgendwie ermöglichen. Der Boom frisst seine Kinder.
So zeigt sich zehn Jahre nach der ersten deutschen Multiplex-Premiere in Hürth bei Köln (bei der übrigens noch Dieter Kosslick mitfeierte), dass die einstigen Hoffnungen auf eine deutliche Steigerung der Gesamtbesucherzahlen auf 200 Millionen reines Wunschdenken waren. Damals ließ sich die Multiplexisierung noch als sanfte Revolution verkaufen. Mit Berufung auf ungeahnte „Synergieeffekte“ wollte man Glauben machen, dass nur schäbige Schuhschachtelkinos dran glauben müssten. Neue Besucherschichten sollten von den Glaspalästen mobilisiert werden, und auch das Winzkino um die Ecke vom Kinoboom profitieren.
Die Wirklichkeit sieht inzwischen völlig anders aus, denn nur die konsequent geführten Programmkinos haben sich bisher als multiplexresistent erwiesen – alle anderen Erstaufführungshäuser und Nachspieler brechen oder gehen ganz ein. Dabei hatte man am Anfang ziemlich gierig auf die Staaten geschaut. Aber auch dort ist der einstige Jubel über die Erfolge einer Katerstimmung gewichen, und die Kinoketten wanderten auf Grund der ungeheuren Konkurrenz reihenweise zum Konkursrichter. Loews Cineplex Entertainment Group, immerhin die zweitgrößte Kette der USA, will zum Beispiel jedes vierte Kino dichtmachen.
Untersuchungen haben interessanterweise gezeigt, dass ein neues Multiplex tatsächlich anfangs zusätzliche Besucher „produziert“. Dieser Effekt verliert sich allerdings bereits nach drei bis vier Jahren. Was passiert, wenn die Halbwertzeit des ersten Multiplex-Runs erreicht ist, ist damit absehbar: Rund drei Viertel der Multiplexe in Deutschland sind im Lauf der letzten vier Jahre eröffnet worden, und sie werden nun überdurchschnittlich Besucher verlieren. Auch die allgemeine Zuschauerentwicklug sieht nicht besonders rosig aus: Zwar lagen die Jahresbesucherzahlen im vergangenen Jahr zum dritten Mal in Folge auf dem Rekordniveau von 150 Millionen – erhofft wurden aber 200.
Die Rechenfehler des hitzigen Investitionsrennens hängen auch mit geradezu absurden Konkurrenzsituationen zusammen – wie in Berlin, wo bis zu 40 Multiplexe projektiert waren. Nur zu gern hätten die Betreiber so manches Objekt wieder von der Hacke. Auch die Investoren haben den Multiplexen längst den Rücken zugewandt, die Cinemaxx-Aktie befindet sich nach einer Gewinnwarnung im Sinkflug. Geradezu tapfer, dass die Kinokette UCI das zehnjährige Jubiläum der ersten Multiplexeröffnung in Hürth als den Tag feiert, „an dem der Kinoboom seinen Anfang nahm“. PHILIPP KOEP
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