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Im Palast ist es zu kühl

„Ich will den Staat zwingen, seine eigenen Gesetze zu befolgen“, sagt Fürst Meschtscherski. Heute ist Gerichtstermin

aus Moskau BARBARA KERNECK

Der Schnee glitzert in freundlicher Morgensonne. Während sich die Elektritschka, die Vorortbahn, vom Kiewer Bahnhof in Moskau aus gen Westen in Bewegung setzt, wirken die meisten Passagiere eher bedrückt. Einige der mitfahrenden jungen Männer finden zu dieser frühen Stunde bereits ihren Trost in mitgeführten Bierdosen. Die beiden hübschesten Mädchen im Waggon beugen mit beleidigten Mienen einer eventuellen Anmache vor. Resolute Rentnerinnen auf dem Weg zu ihren Datschen halten im Gedränge die Ellenbogen leicht angewinkelt.

Nach etwa einer Stunde erreichen wir das Dorf Alabino, den Wohnsitz des Fürsten Jewgeni Aleksejewitsch Meschtscherski. „Erst durch das Gelände der Poliklinik“, weist uns ein Datschen-Gärtner den Weg: „von dort aus kann selbst ein Blinder das Anwesen nicht mehr verfehlen.“ Demselben Pfad zur Plattform der Elektritschka folgt fast täglich auch der Fürst, seit er 1996 aus der heute ukrainischen Stadt Nikolajewsk mit Frau und Kindern hier eingetroffen ist, um die riesige Ruine des Palastes seiner Vorfahren wieder bewohnbar zu machen. Ein Auto kann sich der 49-Jährige nicht leisten. Geschenkt wird den Meschtscherskis hier in Alabino fast nichts, und weniges bleibt ihnen erspart.

Im Quadrat um die nackt in den Himmel ragenden Säulen des einstigen Hauptgebäudes stehen vier kleine Häuschen, die so genannten Flügel. Eine Rauchfahne über einem von ihnen weist den Weg durch den knietiefen Schnee. Obwohl der Besuch unerwartet kommt, strahlt der Fürst. Er wartet gespannt auf einen Gerichtstermin am 14. Februar in der nahen Kreisstadt Naro-Fominsk, bei dem sich das weitere Schicksal seines Palastes entscheiden soll. Öffentliche Anteilnahme ist ihm in dieser Phase lieb.

Alle bisherigen Anträge Meschtscherskis auf Privatisierung des Anwesens wurden abgelehnt. Diesmal hat das Gericht sogar die Postannahme der von ihm eingereichten Unterlagen verweigert. Doch seinem Hauptziel bleibt er treu: „Ich will den russischen Staat zwingen, seine eigenen Gesetze zu befolgen.“ Trotz seiner negativen Erfahrungen will Fürst Meschtscherski die Hoffnung nicht aufgeben. „Unsere ganze Rücksiedlung hierher war von so vielen mystischen und unglaublichen Begebenheiten begleitet, ja, und auch Russlands Zukunft liegt noch im Nebel. Da möchte ich einfach aus Neugierde am Leben bleiben, um mitzubekommen, wie das alles ausgeht.“

Im vorigen Sommer nährte sich die Fürstenfamilie zeitweilig nur von den Früchten des Waldes und denen des eigenen Gemüsegartens. Seine Kaninchen hat Meschtscherski längst verschenkt. Weder er selbst noch die Fürstin oder die drei sonst recht munteren Kinder Mischa (19), Katja (15) und Dima (8) brachten es über sich, die Tiere zu schlachten. Die Ziege Mila wurde vor einem Jahr von Dieben getötet. Der Fürst folgte den Blutspuren im Schnee und fand die Täter. Aber die Staatsanwaltschaft weigerte sich, ein Verfahren zu eröffnen, angeblich, weil das örtliche Gefängnis überfüllt sei. Auf ähnliche Weise verlor er seine beiden Hunde. Er ist überzeugt, dass sie von entlassenen Häftlingen verspeist worden sind. In den Straflagern Russlands wütet die Tuberkulose. Hundefett gilt als Patentmedikament.

Vorigen Sommer zerhackten kahl geschorene Kraftprotze alle Exponate des eben in einem restaurierten Flügel eingerichteten Familienmuseums und setzten das Nebengebäude anschließend in Brand. Die Feuerwehr weigerte sich, den Fall zu Protokoll zu nehmen. „Wann wurde der Palast erbaut?“, fragte der inspizierende Beamte: „1775? Na, was wollen Sie denn? Wenn ein Gegenstand so alt ist, beläuft sich die Entschädigungssumme unseren Preislisten zufolge auf null.“

Das winterliche Dasein als Hausbesetzer im eigenen Palast ist kühl. Von den insgesamt acht Räumen des Flügels werden zur Zeit nur die Küche und der vom Küchenherd mitgeheizte angrenzende Raum bewohnt. Trotzdem hat Fürstin Ljudmila soeben gefröstelt und trägt nun inspiriert lächelnd beim Gemüseputzen einen Schaffellmantel über ihrem dünnen Kleidchen. Sollte es ihr einziges sein? Nur wenige Textilien hängen an Nägeln und über einer Leine. Auf dem Tisch liegt ein Wachstuch, unter den Betten stehen Kartons. Es herrscht eine säuberliche Barackenatmosphäre. Nur an Feiertagen zündet der Fürst im Salon den Kamin an. An manchen Stellen sind die Dielenbretter hier einsturzgefährdet. War es nun wirklich die Prinzipientreue, die diese Menschen hierher geführt hat, die Neugier auf Mystisches oder vielleicht die blanke Not, die so viele Bewohner der einstigen Sowjetunion in den letzten zehn Jahren umgetrieben hat und in Notunterkünften landen ließ?

Immerhin haben Fürst und Fürstin jetzt beide Arbeit. Sie jobbt als Buchhalterin. Er ist als studierter Bauingenieur bei einer Behörde in Moskau angestellt, die Kindergärten renoviert oder umbaut. Die notwendigen Fachkenntnisse hätte er also, um das Familienanwesen neu zu errichten, dazu auch die kräftige Konstitution. Die braucht er in letzter Zeit ganz und gar für seinen Kampf gegen die Behörden. Gelassen zieht Meschtscherski Bilanz: „Dieser Staat wurde seit Jahrzehnten von Dieben und Räubern regiert. Stalin war vor der Revolution Bankräuber, ja, und auch unsere letzten Regierungen haben allein das Ziel verfolgt, sich zu bereichern. Deshalb sind Beamte und Unterwelt bei uns natürliche Verbündete. Dieser Staat führt nun Krieg gegen meine Familie, und wir führen Krieg gegen den Staat.“ Der Fürst als Anhänger der konstitutionellen Monarchie träumt dennoch davon, wenigstens in Alabino eine „Insel der Rechtsstaatlichkeit“ zu schaffen. „Wenn es in Russland mehrere solche Inseln gäbe“, sagt er, „dann könnten sie mit der Zeit zusammenwachsen. Die Welt muss sich darüber klar werden, welche Bedrohung ein Räuber-Atomstaat von so gewaltigen Ausmaßen für sie darstellt.“ Im Familienwappen der Meschtscherskis steht ein Halbmond für Phobos, den Dämon der Furcht. Wir fragen den Fürsten, ob er nicht um seine Kinder fürchtet. „Ja“, sagt er, „um uns alle.“

In einer Gerichts-Show des Privatsenders NTV sprachen die Zuschauer dem Fürsten das Besitzrecht an seinem Anwesen zu. Doch seine wachsende Popularität bringt ihm keine Kopeke ein. Die Kosten für die Wiedererrichtung des Palastes werden auf sechs Millionen Dollar geschätzt. Da könnte nur noch ein Wunder helfen. An Wunder sind die Meschtscherskis gewöhnt. Zum Beispiel an das Hausgespenst, den Geist der ehemaligen Schlossherrin. Es heißt, die Gute habe auf dem Gelände einen Schatz vergraben, von dem sich ihre gierige Seele nun nicht trennen könne. Als die Hunde noch lebten, trieb das Gespenst die Tiere zur Verzweiflung. Außerdem entspringen auf dem Anwesen zwei Quellen. Der Volksmund spricht ihnen besondere Heilkräfte zu, falls „der Fürst persönlich“ das Wasser bei Vollmond schöpfe. Meschtscherski schöpft unermüdlich und bestätigt ihre zauberhafte Wirkung. Die Fürstin hätte lieber eine Wasserleitung.

Auf dem Rückweg zur Elektritschka erzählt Meschtscherski uns noch von den Brillantohrringen aus dem Familienschatz: „Jedem, der sie unrechtmäßig erwirbt, bringen sie den Tod. Plötzlich las ich in der Zeitung, dass Raissa Gorbatschowa diese Ohrringe trug“, erinnert sich Meschtscherski: „und da wusste ich sofort. Sie wird bald sterben.“ Hat denn Gorbatschow den Schmuck gestohlen? „Nicht direkt“, erzählt der Fürst. „Aber er schusterte der Spenderin des Schmuckes, meiner Großtante, dafür eine staatliche Rente zu. Erstens war dies nicht sein eigenes Geld, und zweitens hatte Tante den Schmuck an Raissa offiziell als Geschenk gegeben. Und das war wohl Michail Gorbatschows Hauptfehler in dieser Angelegenheit. Geschenke soll man als Geschenke behandeln. Für sie zu zahlen, ist nicht recht.“ Strotzend vor Rechtsbewusstsein kommt das jüngste Kind des Fürsten den Gästen hinterhergewatschelt und trägt ihnen eine vergessene Packung Papiertaschentücher nach.

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