: Rich steht für reich
von MARTIN KILIAN
Ein Jahr zuvor war er vor der amerikanischen Justiz ausgerissen, nun feierte Marc Rich seinen Fünfzigsten im vornehmen Hotel National in Luzern. Es war eine sagenhafte Party, die da 1984 stieg, und untermalt wurde sie vom Boxkampf zweier Clowns. Der eine mimte einen New Yorker Cop, der andere trug das Logo der Marc Rich AG, frei nach dem Motto: Flüchtiger Milliardär verhöhnt seine Verfolger. Nicht weniger symbolisch klang auch die Unterhaltungseinlage von Ehefrau Denise Rich, einer aufstrebenden Texterin und Komponistin poppiger Weisen. „Schau nicht zurück“, trällerte sie, „die Jahre ziehen so schnell vorbei.“
In der Tat, die Jahre zogen schnell vorbei. Am 20. Januar, nach sechzehn Jahren auf der Flucht vor amerikanischen Staatsanwälten, punktete Marc Rich seine New Yorker Verfolger dank Bill Clintons Gnadenerweis endgültig aus. Der Einkauf teuerster Anwälte mit direktem Zugang zum Präsidenten hatte sich ausgezahlt. Am meisten hatte Denise sich ins Zeug gelegt, die betrogene Exehefrau. Rechtzeitig zum Beginn der glitzernden Clinton-Ära war sie nach gescheiterter Ehe nach New York abgedampft und hatte sich einen großen, neonfarbenen Namen als Partylöwin und Popkomponistin gemacht. Eingängiges Liedgut zu verfassen und sagenhafte Feste zu veranstalten, hätten freilich nicht ausgereicht, den Exgatten aus seinem Schlamassel zu befreien.
Aber Denise hatte nach der Rückkehr in die amerikanische Heimat etwas Neues entdeckt. Dass es nämlich den gesellschaftlichen Rang beträchtlich erhöht, wenn man Spenden einsammelt und spendet. Nicht für die Heilsarmee, sondern für den Präsidenten und seine Demokratische Partei. Wie ein Dukatenesel legte sie sich ins Zeug; bald flossen mal 20.000, mal 50.000 Dollar in die Schatullen der Demokraten. Oder direkt in die Wahlkampfkasse des von Denise hoch geschätzten Saxofonisten Bill Clinton. Obendrein veranstaltete die rührige Dame Gesellschaftsabende zugunsten der Clinton-Partei. Wer pro Gedeck Tausende, ja Zehntausende von Dollars abzubuchen bereit war, durfte den Präsidenten und manchmal Hillary begaffen und ging im Gefühl, ein gesundes Kneippbad im Korruptionsmorast der amerikanischen Demokratie genommen zu haben.
Nachdem unter Denises Vorsitz über eine Million Dollar zusammengekommen waren, erhielt endlich eine Hand Gelegenheit, die andere zu waschen. Denn in einem Brief Anfang Dezember fragte Denise „als Ihre Bewunderin und Freundin“ beim großen Zampano in Washington an, ob es nicht an der Zeit sei, den Exehemann zu begnadigen. Sie telefonierte mit Clinton, sprach persönlich vor. Nach der unwirschen öffentlichen Reaktion auf das Pardon verneinte sie zuerst, sich für eine Begnadigung verwandt zu haben, bevor sie es zugab. Aber das viele Geld habe „absolut nichts mit der Begnadigung zu tun“. Wirklich? Außer Frage steht Denises Großzügigkeit gegenüber dem Exgatten, dem sie vor Jahren vorgeworfen hatte, ihr Leben mitsamt dem der drei gemeinsamen Töchter zerstört zu haben.
Von Marc Rich habe es geheißen, er sei ein Gauner, sie aber sei ihm zur Seite gestanden, nur um betrogen zu werden, giftete sie damals. Jetzt pries sie gegenüber Clinton das „gute und gebende Herz“ ihres Exgauners. Wie die Jahre vorbeiziehen und die Zeit doch alle Wunden heilt – wenngleich der Ehemann ein Filou mit Gütesiegel gewesen war. Hatte Denise nach der Heirat 1966 nicht brav seinen Aufstieg begleitet? War sie nicht mit ihm ins Schweizer Exil geflohen? Und hatte Marc sie 1989 nicht trotzdem mit einer Münchner Schickeria-Blondine namens Gisela betrogen und danach mit einem Klimpergeld von 3,6 Millionen Dollar abspeisen wollen?
Die Tochter eines jüdischen Schuhfabrikanten wehrte sich, hetzte ihm die Scheidungsanwälte auf den Hals, ließ nicht locker – und kassierte am Ende ab, vielleicht auch deshalb, weil Tochter Gabrielle 1996 an Leukämie gestorben war und der Milliardär unter dem Eindruck ihres Todes sein „gutes und gebendes Herz“ entdeckt hatte. In New York, wo Denise auf riesigem Fuß lebte, wurde jedenfalls gemunkelt, der Rohstoffkönig habe eine halbe Milliarde Dollar herausgerückt.
Sie hätte es nicht unbedingt gebraucht, denn sie war inzwischen mit vertontem Liebesschmerz und Liebesglück selbst erfolgreich. Ein üppiges dreistöckiges Penthouse nennt sie ihr Eigen, in bester New Yorker Lage, mit Chagall, Aufnahmestudio und Blick auf den Central Park – eine Immobilie, die verpflichtet. Zu Partys natürlich. „Wenn du das Glück hast, einen Platz für Partys zu haben, dann bist du verpflichtet, anderen zu helfen.“ Wobei mit einer Einladung zu Denises fabelhaften Partys fast jedem geholfen ist, umso mehr, als die Feten stets einem wohltätigen Zweck dienen: Dollars gegen Krebs, Dollars für Clinton.
Ausgebuffte Eventdesigner und Partyplaner organisieren die Feierlichkeiten, Deplatziertheiten wie Bockwürste und klebriger Rotwein sind ihre Sache nicht. 1998 ließen Planer und Designer zur Unterhaltung der Gäste goldbemalte Schlittschuhläufer auf Denises Terrasse herumflitzen, die kurzerhand in ein Eisstadion verwandelt worden war. Wenn die New Yorker Benefizsaison ihrem herbstlichen Höhepunkt zustrebt oder Kongress- und Präsidentschaftswahlen anstehen, schaltet die Hostess den Overdrive zu. Beschwingt von Veuve Clicquot, tummeln sich dann – in kleinstem Kreis – bis zu einhundertfünfzig Heavies im Penthouse; mit Michail Gorbatschow und den Clintons, mit Donna Summer und Natalie Cole protzt die Gästeliste. Michael Douglas gibt sich die Ehre, desgleichen Fernseh-Talkmaster Larry King, um dabei zu sein, wenn Schönheit sich mit Macht und Geld sich mit Talent paart. Um das Ereignis von den Billigkopien der Plebejer abzuheben, erwarten Geiger die Eintretenden am Aufzug, ein Glasbläser steht bereit, um Souvenirs zu blasen.
Publizistisch verwurstet wird eine solche Gala von den Hofberichterstattern diverser Celebrity-Magazine wie People Weekly. Einem wahrhaft guten Zweck frönt, wer zu Denises Engelsball erscheint, dessen Erlös ihrer nach der verstorbenen Tochter und deren Ehemann benannten Stiftung für Krebsforschung zufließt. Die Clintons schauten vorbei, Michael Jackson, Novartis und Robert De Niro. Ein Tisch kostete zwischen 12.500 und 100.000 Dollar, Entertainment und Essen waren umsonst. Was die Gäste eint? „Sie alle haben jemanden verloren“, sagt die Veranstalterin. Damit ist erwiesen, dass auch Verwandte von Celebrities sterblich sind.
So rauscht des Rohstoffhändlers Exgattin durch die High Society, eine Selfmade-Frau mit dem pekuniären Extraschub der Abfindung. Der Wirbel um ihre Rolle beim Pardon des Ehemaligen verstörte sie immerhin genug, um die nächste Party abzusagen. Besonders, da sie gleich zweimal ins Pardon-Gerede kam, wurde doch geflüstert, sie habe sich bei Clinton auch für ihren ehemaligen Boyfriend, den Starmediziner Niels Lauersen, verwandt. Wegen Versicherungsbetrugs wurde der Doktor vor kurzem verknackt, ein Gnadengesuch lag vor. Denise freilich will damit nichts zu tun gehabt haben; sie konzentrierte sich ganz auf Marc. „Siebzehn Jahre im Exil sind genug“, schrieb sie ihrem Spezi, dem Präsidenten, womit sie Bill Clintons empfindlichsten Nerv getroffen hatte. Nach seinem Auszug aus dem Weißen Haus wird er den Rest seines Lebens im Exil verbringen.
Drei Tage nach der Veröffentlichung des pornografischen Starr-Reports, als ihm in Washington kaum jemand die Hand schütteln mochte, flog Big Bill 1998 zu Denise ins Penthouse und sammelte Geld ein. Die Veranstaltung, so der melancholische Präsident damals, bedeute ihm besonders viel, „und wir werden das nie vergessen“. Er hielt sein Wort. Der Rohstoffgrossist ist aus dem Schneider, Denise wird weiter dichten: Was, wenn es Liebe ist. Du liebst nur einmal. Wo immer du bist.
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