piwik no script img

Der Joker-Service

Ein pfiffiges Jungunternehmen profitiert vom Quizboom im deutschen Fernsehen

Viele Hobby-Quizzer rufen Verwandte oder Bekannte an und missbrauchen sie als Joker

Wer wird Millionär? Für Mark Zuschel (29) aus Pfaffen in der Nordheide keine Frage: „Ich“, sagt er und ergänzt, nachdem er eine Tabelle auf seinem PC gecheckt hat: „Wenn das weiter so brummt, ist es demnächst so weit.“

Was da bei dem abgebrochenen Studenten der Philosophie so millionenträchtig brummt, nahm erst vor vier Monaten seinen Anfang, als Zuschel eines Abends zwei seltsame Anrufe seiner Mutter erhielt. „Welches dieser Tiere“, habe sie da beim ersten Mal gleich grußlos zu einer Frage angesetzt, „ist kein Paarhufer? Antilope, Pferd, Kamel oder Schwein?“ – „Das Pferd natürlich.“ – „Aha, also doch“, hörte Zuschel sie gerade noch sagen, dann hatte sie aufgelegt. Zehn Minuten später läutete sie erneut bei ihm an: „In welcher Stadt“, wollte sie nun wissen, „befindet sich das Grab Theoderich des Großen? Ravensburg, Ravenna, Krakau oder Porto?“ – „In Ravenna, aber . . .“ – „Sicher?“ – „Ja sicher, aber wieso willsten das wissen?“ Doch seine Mutter hatte längst wieder eingehängt. Es war das erste Mal, dass Zuschel als Telefonjoker in Anspruch genommen wurde. Einen Monat später verdiente er Geld damit.

Bis dahin hatte er allerdings nichts von dem in Deutschland grassierenden Fernsehquizfieber mitbekommen. So wusste er auch nicht, dass nicht nur ständig Millionen von Fernsehzuschauern vor allem das RTL-Quiz „Wer wird Millionär?“ verfolgen, sondern zahlreich auch in ihrer Freizeit sich mit dem Quiz beschäftigen, da es, dem TV-Format nachempfunden, längst auch im Internet oder als Gesellschaftsspiel angeboten wurde. Diese Spiele aber können mit einem entscheidenden Aspekt des Fernsehvorbildes nur unzureichend dienen, dem nämlich des Telefon-Jokers. Ein Manko, das viele Hobby-Quizzer ausgleichen, indem sie, wie Mutter Zuschel es tat, Verwandte oder Bekannte anrufen und als Joker missbrauchen.

Für Mark Zuschel verging seither jedenfalls kein Tag, an dem er nicht mindestens einmal seiner Mutter den Joker machte. Dabei lag er mit seinen Antworten, wie Mutter Zuschel heute versichert, „meist neunzigprozentig richtig“; eine Trefferquote, die sich schnell im Verwandten- und Freundeskreis herumsprach. Alle wollten Zuschel als Joker.

„Es gab Tage“, erinnert er sich, „an denen ich bis zu dreißig Mal angerufen wurde. Immer öfter übrigens auch von Leuten, die ich gar nicht kannte.“

Es dauerte jedoch noch fast einen Monat beziehungsweise rund 600 Anrufe, bis Zuschel auf die Idee kam, seine Jokerdienste zu versilbern. Er lieh sich 30.000 Mark von seinem Onkel Hans, kaufte eine kleine ISDN-Anlage samt Telefoncomputer und ließ beides in seiner Wohnung installieren. Dazu bestellte er bei der Telekom eine 01 80-Service-Nummer, die auch schnell freigeschaltet wurde. Den Rest des Kredits steckte er in eine lokale Werbekampagne, über die er sich allen „Wer-wird-Millionär-Fans“ als „Ihr Telefon-Joker – rund um die Uhr erreichbar“ sowie seine neue Telefonnummer als „Ihre Millionärs-Hotline“ bekannt machte.

Seitdem stehen Zuschels Telefone nicht mehr still, und nachdem vor kurzem die Pfaffener Lokalpresse und zwei Tage später auch die Harburger Morgenpost über seine Jokerdienst-Idee berichteten, erreichen ihn Anrufe von Quiz-Freunden aus ganz Norddeutschland. Zuschel aber heimst fortan 24 Pfennig pro Minute und Anrufer ein. So konnte er Onkel Hans nicht nur längst die 30.000 Mark zurückzahlen, sondern ihn obendrein noch zu einem ordentlichen Stundenlohn bei sich anstellen: „Hans erledigt die 100- bis 64.000-Mark-Fragen, ich den Rest.“ Ihre durchschnittliche Quote der richtigen Antworten liegt derzeit bei beachtlichen 67 Prozent.

Über seine momentanen Umsatzzahlen hüllt sich Zuschel allerdings in Schweigen. Nur so viel gestattet er an Einblick: „Inklusive der bereits kostenpflichtigen Warteschleife, in der die Anrufer auf einen freien ‚Jokerplatz‘ warten müssen, dauern die Gespräche im Durchschnitt 292 Sekunden.“ Wie viele Anrufer es täglich sind, denen er, Onkel Hans und seit kurzem auch seine Mutter den Joker machen, verrät Zuschel nicht. Allerdings sei sein Telefoncomputer bereits mehrmals in den letzten Tagen unter dem Ansturm der Anrufer zusammengebrochen. Eine leistungsstärkere Anlage wird erst Anfang März geliefert. Dann dürfte sein Jokerdienst unter 0 18 05-5 66 77 88 wieder störungsfrei und rund um die Uhr erreichbar sein. FRITZ TIETZ

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen