Ein bisschen Straße, ein bisschen Salon

■ Feridun Zaimoglu liest aus seinem deutschesten Roman: „Liebesmale scharlachrot

Vor knapp einem Jahr war er zuletzt im Literaturhaus Hamburg. Inzwischen ist viel passiert für Feridun Zaimoglu: Letzten Herbst erschien sein jüngstes Buch Liebesmale scharlachrot, fast gleichzeitig hatte die Verfilmung seines Dealerprotokolls Abschaum Premiere, von Lars Becker unter dem Titel Kanak Attack in Szene gesetzt. Der deutschsprachige Autor begann zugleich einen erstaunlichen Marathon durch Feuilletons und Talk-shows. Wollte man einen Vertreter der neuen Generation von Migranten, ein Exempel neuen deutsch-türkischen Selbstbewusstseins von Kanak Chic, war Zaimoglu anscheinend immer der Naheliegendste.

Allerdings hat inzwischen die große Geste, mit der Zaimoglu die so genannte Gastarbeiterliteratur mit ihren zumeist weinerlichen Texten vom Tisch gefegt hat, auch die Aufmerksamkeit auf die aktuelle Literaturproduktion anderer Einwanderer gelenkt. Eine Reihe von Anthologien und Einzelveröffentlichungen erzählen nun von der zunehmenden Integration der nicht von Geburt an deutsch Sprechenden in den hiesigen Buchmarkt, nicht ohne zugleich – durch die Markierung als Literatur hier lebender Ausländer – Zeugnis von einem Ausschluss zu sein.

Gesprochen wird von der Kritik dann in der Regel über die Biografien, die in den Texten ihren Ausdruck finden, weniger von der Literatur selbst. Und es scheint, als bürge eine Geburt außerhalb der Grenzen dieses Landes für eine Literatur von unten, wie sie die deutsche Sprache kaum noch kannte: Willste Proll, kriegste Kanak.

Zaimoglu hat im Grunde von Beginn an auf diesem Bedürfnis gesurft. Die Bücher Kanak Sprak, Koppstoff und Abschaum waren allesamt auch eins in die Fresse für die langweilige und spießige Kontaktaufnahme der hiesigen Popliteratur mit dem „Unten“, mit der Sub-„Kultur“, von der man sich bequem am nächsten Tag wieder im Eigenheim von Mama und Papa erholen kann.

Der Roman, aus dem Zaimoglu heute Abend lesen wird, bricht in gewisser Weise mit der Tradition seiner früheren Texte. Liebesmale scharlachrot hat den protokollarischen Stil abgelegt , es ist ein Briefroman. Zaimoglus Kanak Sprak war zwar sowieso nie das, was man sich unter der authentischen Sprache der Straße vorstellt – diesmal aber hat er besonders tief in die Mottenkiste der deutschen Schriftsprache gegriffen. In den Briefen der beiden türkischen Jungs, die sich – der eine in Kiel, der andere in Istanbul – lange sprachgewandte Texte schreiben, finden sich jede Menge romantische Ausdrücke und darüber hinaus so ziemlich alles, was die deutsche Sprache an Verschwurbeltheiten hervorgebracht hat. Anschließend an die Lesung wird der Kanak-Attak-Akti-vist Imran Ayata Platten auflegen.

Christiane Müller-Lobeck

heute, 20 Uhr, Literaturhaus