: Datenschutz im Kreißsaal
Nach dem Willen der Grünen und des Ärztekammerpräsidenten sollen Frauen künftig in Notsituationen ihre Kinder anonym im Krankenhaus zur Welt bringen können
Sie kommen mit Wehen in die Klinik, geben einen falschen Namen an, gebären und verlassen kurz danach die Klinik ohne das Kind. Was derzeit noch eine illegale Ausnahme ist, soll legal werden: Ärzte und Politiker fordern, dass Frauen zukünftig ihre Kinder in einem Krankenhaus bekommen können, ohne ihren Namen angeben zu müssen. Sie sollen auch die Möglichkeit haben, das Neugeborene anonym in der Klinik zurückzulassen.
Bisher ist das gesetzlich nicht möglich. Ein Krankenhaus darf eine Frau, die ihre Identität nicht preisgibt, nur im Notfall aufnehmen – zum Beispiel, wenn die Wehen schon eingesetzt haben. Andernfalls kann die Klinik die Frau abweisen.
„Ich halte das für ein gutes Angebot“, sagt der gesundheitspolitische Sprecher der Bündnisgrünen, Bernd Köppl. Es gebe Frauen, deren familiäres Umfeld sehr aggressiv sei, die selbst große persönliche Probleme hätten und die ihr Kind eher umbringen oder in einen Müllcontainer stopfen würden, als es zur Adoption freizugeben. Für diese Frauen sei die anonyme Geburt ein guter Ausweg, so Köppl. „Wir müssen auch den Frauen, die am Rande der Gesellschaft stehen, die Möglichkeit einer humanen Geburt ermöglichen“, fordert er. Das sei im Rahmen der Armutsmedizin ein neuer Weg.
Eine „Babyklappe“, in der Mütter ihre Babys nach der Geburt anonym abgeben können, reiche nicht aus. „Die Frauen haben das recht auf medizinische Hilfe. Warum sollen sie auf Dachböden oder im Badezimmer gebären?“, fragt Köppl. Die Berliner Grünen führen derzeit mit der Bundestagsfraktion erste Gespräche über eine Gesetzesänderung.
Auch der Ärztekammerpräsident Günther Jonitz hält die Möglichkeit der anonymen Geburt für sinnvoll: „Ich unterstütze eine Gesetzesänderung.“ Gesundheitssenatorin Schöttler (SPD) spricht sich für anonyme Geburten in Notsituationen aus, sieht aber noch rechtlichen Klärungsbedarf.
Zahlen darüber, wie viele Frauen ein Kind unter falschem Namen in Berliner Kliniken entbinden, gibt es nicht. „Bei uns kommt das ein bis zweimal im Jahr vor“, sagt Matthias David, Oberarzt an der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe der Charité. Zusätzlich passiere es ein- bis zweimal im Jahr, dass Frauen aus Polen oder den GUS-Staaten in der Klinik unter Angabe ihres richtigen Namens ihr Kind zur Welt brächten und das Baby dort ließen. Dabei handele es sich in den meisten Fällen um Prostituierte.
David glaubt jedoch nicht, dass eine Gesetzesänderung „die Lösung der Probleme ist“. Der Oberarzt vermutet, dass Frauen, die anonym bleiben wollen, eine große „Schwellenangst vor der Institution Krankenhaus“ haben. Außerdem müsse die Finanzierung geklärt werden. Der Tagessatz in der Geburtshilfeabteilung der Charité liegt bei 1.000 Mark. Der Grüne Köppl fordert deshalb einen Fonds, der vom Land finanziert wird, von dem PatientInnen in extremen Notlagen profitierenkönnen. JULIA NAUMANN
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