: Oberster Hasch-Experte
Der Lübecker Richter Wolfgang Nescovic wird bald am Bundesgerichtshof Recht sprechen
von CHRISTIAN RATH
Normalerweise interessiert sich die Öffentlichkeit nur für neue Verfassungsrichter. Die Bestimmung von Richtern am Bundesgerichtshof (BGH), dem höchsten deutschen Gericht in Straf- und Zivilangelegenheiten, gilt dagegen eher als Routineangelegenheit.
Doch bei Wolfgang Nescovic ist das anders. Er ist seit einigen Jahren einer der prominentesten Richter bundesweit, ein streitbarer und politischer Jurist. Jetzt wurde er auf Vorschlag der Kieler Justizministerin Anne Lütkes (Bündnisgrüne) gemeinsam mit dreizehn anderen Kandidaten zum Richter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe gewählt.
Bundesweit bekannt wurde Nescovic als Hasch-Experte. Eine Vorlage seiner Lübecker Strafkammer hatte 1994 zum Cannabis-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts geführt. Dort legte Karlsruhe die Straflosigkeit des Eigenverbrauchs von Haschisch nahe. Nescovic wollte aber eigentlich viel mehr. Er hatte die Ungleichbehandlung von Alkohol und Haschisch als ungerechtfertigt angesehen und ein allgemeines Recht auf Rausch proklamiert.
Auch seither hat sich Nescovic für die Legalisierung weicher Drogen eingesetzt. So hält er den „einigermaßen geordneten Gebrauch von Cannabis für bedenkenfrei“ und bezeichnet die Theorie, dass Haschisch eine Einstiegsdroge sei, als „Mythos“.
Möglicherweise deshalb wurde Nescovic’ Wahl am BGH nicht gerade gefördert. „Fachliche Eignung wird nicht bejaht“, lautete nach Informationen der FAZ das Votum des BGH-Präsidialrats. Dieses siebenköpfige Richtergremium sichtet alle Wahlvorschläge und gibt nach einem persönlichen Gespräch mit den Kandidaten und Kandidatinnen Empfehlungen ab. Im Fall Nescovic hat sich der Richterwahlausschuss, dem sechzehn Mitglieder des Bundestags und alle Landesjustizminister angehören, offensichtlich nicht an dieses Votum gehalten. Auch die der CDU angehörenden Mitglieder haben im Rahmen einer Paketabsprache Nescovic wohl mitgewählt.
Der Lübecker Richter muss nun einige Wochen oder Monate auf eine frei werdende Stelle am BGH warten. Doch auch dann ist sein Einfluss nur begrenzt. Am BGH amtieren fünfunddreißig Strafrichter, und an jeder Entscheidung sind fünf Richter beteiligt. Nescovic kann also leicht überstimmt werden, und Sondervoten sind am BGH nicht zulässig. Nescovic bleibt also das, was ihm in der Vergangenheit über Schleswig-Holstein hinaus Aufmerksamkeit gesichert hat: Er wird öffentlich weiterhin Stellung nehmen müssen.
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