„Grüne brauchen Druck“

Die designierte Grünen-Chefin Claudia Roth im taz-Interview über das Selbstverständnis der Partei: Grüne sind nicht nur Regierungspartei, sondern Teil gesellschaftlicher Bewegungen

BERLIN taz ■ Die Grünen sind nach Ansicht von Claudia Roth keine normale Partei. „Wir sind nicht die dritte oder vierte Kraft, wir sind eine andere Kraft“, sagte die designierte Parteivorsitzende der Grünen in einem Interview mit der taz. Sie widerspricht damit der Auffassung des grünen Übervaters Joschka Fischer, der schon seit längerem meint, dass die Zeiten der grünen Protestpartei vorbei sind. „Natürlich haben die Grünen als Regierungspartei eine politische Gestaltungsaufgabe“, so Claudia Roth zur taz. „Aber sie sind gleichzeitig Teil gesellschaftlicher Bewegungen.“

Außerparlamentarischer Druck sei für die grüne Partei oder für die rot-grüne Regierung keine Bedrohung. „Wir können verdammt froh sein, dass es ihn gibt“, sagte Roth, „wir brauchen ihn.“ Die Grünen könnten einen Koalitionskompromiss nicht zum Parteiprogramm erklären. „Keine Partei kann ohne Visionen überleben“, so Roth.

Die Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Bundestages, die bei einem Parteitag im März zur neuen Grünen-Chefin gewählt werden soll, erklärte, sie verstehe sich nicht als Repräsentantin eines Flügels: „Ich vertrete die Gesamtpartei.“ Ihre Kandidatur sei keine Kampfansage an Außenminister Joschka Fischer. Sie trete auch nicht an, um die Realos um den Parteivorsitzenden Fritz Kuhn zu ärgern. „Ich will, dass unsere Partei Erfolg hat“, so Roth.

Sie verteidigte den umstrittenen Beschluss der Grünen, nicht zu Blockaden von Castor-Transporten aufzurufen. „Wenn man akzeptiert, dass der Konsens mit der Industrie im Moment der einzige Weg ist, der zum Atomausstieg führt“, so Roth, „dann wäre es politisch kontraproduktiv, die Castor-Transporte und damit den Konsens zu blockieren.“ Gleichzeitig verlangte die Linke, die im vorigen Jahr gegen den Atomkonsens gestimmt hat, von den Grünen Verständnis für den Protest der Umweltverbände. JENS KÖNIG

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