Stellungskriege, oder?

Turnier der Inszenierungsstile am Schauspielhaus: Schnitzlers „Reigen“ – jede Szene mit anderer Regie  ■ Von Christiane Müller-Lobeck

„Sag wenigstens, hast mich gern?“ – „Sag, Franz, hast mich gern?“ Notiert hat solche Sätze Arthur Schnitzler am Ende des 19. Jahrhunderts in seinem Stück, das lange als unaufführbar galt. Zu stark waren die Vorbehalte der österreichischen und deutschen Sittenwächter, denn jede der zehn Szenen, die den Reigen ausmachen, gipfelt in einem Schweigen, im Text durch Gedankenstriche markiert, zu dem zwei jeweils wechselnde Leute Sex haben.

Dass in vielen der um diesen „Sex“ herum gesprochenen Sätzen die ganze Dramatik von Geschlechterverhältnissen liegt, die durch eine ökonomische Abhängigkeit der Frauen bedingt sind, hat offensichtlich die meisten der RegisseurInnen beschäftigt, die aufgefordert waren, das Stück am Deutschen Schauspielhaus gemeinsam aufzuführen. In ihren jeweiligen Szenen haben sie dann einfach die überlieferten Rollen ganz oder zumindest teilweise vertauscht.

„10 Szenen – inszeniert von 10 Regisseuren“, unter diesem Slogan hat Tom Stromberg „unterschiedliche Regisseure ins Gespräch bringen“ wollen. Es sind übrigens weit mehr als 10, denn teilweise haben ganze Gruppen eine einzelne Szene inszeniert: Dabei sind Franz Wittenbrink, Stefan Pucher, She She Pop und showcase beat le mot, Viviane De Muynck, Ute Rauwald, Friederike Heller, Jan Bosse, Jochen Strauch, Ingrid Lausund und die Filmemacher Simon Frisch und Tobias Sandberger. Statt einer Zusammenarbeit ist ein Schaulaufen unterschiedlicher Inszenierungsstile daraus geworden, zusammengehalten einzig durch die Kontinuität des Bühnenbilds, den Resten eines Jahrmarkts mit Assoziation Wiener Prater. Vor dieser – vielleicht etwas zu naheliegenden – Kulisse empfehlen sich die RegisseurInnen mit jeweils einem Trailer ihrer Arbeitweise.

Neben dem Spiel mit den Geschlechterrollen hat einige die regionale Fremdheit von Schnitzlers Sprache – das Wienerische – oder ihre historische Entfernung – Jahrhundertwende – beschäftigt. So hat Stefan Pucher etwa seine Scherze mit der Aufforderung „Lass uns z' Haus gehn“ gemacht, die der Angesprochene erst nicht versteht und dann wieder und wieder zum Anlass nimmt, seine Hose herunterzulassen.

Die Gruppen She She Pop und showcase beat le mot haben gleich den gesamten Text der Szene auf die Regieanweisungen reduziert. Vor einer großen Videoprojektion werden sie aus dem Off geprochen. Lediglich kurze Passagen aus dem Dialog sind rückwärts geprochen und dann abermals rückwärts abgespielt zu hören. Das rückt nicht wie bei David Lynch das Unheimliche, sondern die Albernheit der Sprache des Originals in den Vordergrund.

Alle anderen beteiligten TheaterregisseurInnen halten trotz ihrer kleineren Eingriffe in den Text an der klassischen Form des Sprech-theaters fest. Dabei ergibt sich zwar der eine oder andere Gag, wie im Film nimmt bei De Muynck beispielsweise der nicht knallende Champagnerkorken die frühzeitige Ejakulation des Mannes vorweg. Der großen Behauptung des Theaters, es gebe zeitlose Stoffe wie etwa das Bedürfnis nach Sex oder Liebe, die lediglich einiger aktueller Modifizierungen bedürfen, bleiben die Inszenierungen aber nahezu alle treu.

Nur die beteiligten Filmemacher Frisch und Sandberger haben sich darüber noch einmal hinweggesetzt: Auf der bühnengroßen Leinwand sieht man zwei Personen in einem Auto sitzen, die Dirne am Steuer, der Graf neben ihr. Sie führen den in der Szene vorgesehenen Dialog. Doch die beiden sitzen im Autokino, und Off-Voice sind Satzfetzen zu hören, gesampelt aus allen Szenen. „Guck mal, die reden grad so wie mir.“ An diesem Punkt kann das Theater eigentlich einpa-cken. Das Kino hat ihm voraus, dass dort das meiste in den Gesichtszügen der Schauspieler passiert. Wenn es aber im Theater zum großen Gestikulieren kommt, verschwindet der Zauber des scheinbar Realistischen. Darüber hinaus bestimmt heute kein Medium so sehr die möglichen und unmöglichen Worte, die um den Sex herum geprochen werden, wie das Kino. Und wird das Nachplappern dann – wie bei Frisch und Sandberger – noch reflektiert, ist es endgültig vorbei mit der Unschuld von dem, was wir im Alltag so reden.

Weil es aber immer noch Leute gibt, die beim Flirten und um den Sex herum reden, wie beim Flirten und um den Sex herum im Theater gesprochen wird, und offenbar auch noch ein weiteres Jahrhundert so reden wollen, kann das selbstverständlich nicht so stehen bleiben. Die Gesamtdramaturgie hat daher die letzten beiden Szenen vertauscht. Und vor dem roten Vorhang wird dann Theater nochmal auf das hin inszeniert, was das Kino so nicht kann: zwei Schauspieler, die nur sprechen und gestikulieren, ganz wahnsinnig nah am Publikum dran. Nicht umsonst ist es die Diva Ilse Ritter, die hier zusammen mit Stefan Merki das Publikum zu „bezaubern“ versucht: Sie wird von vielen schon lange verehrt, das mit dem Bann ist ihre leichteste Übung.

weitere Aufführungen 25., 27.2. + 4.3., 20 Uhr, Schauspielhaus