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berliner szenenEistanzspektakel in Tegel

Ghetto on Ice

Auf einer glatt gestampften Scholle kurz vor dem Flughafen Tegel steht ein Riesenzelt mit Parkplatz. Wer parken will, zahlt fünf Mark, mit Behindertenschein darf man ganz nach vorn. Wir gucken uns „Colours of Dance“ an, neben der Stadtautobahn. Katharina Witt ist in solchen „Shows On Ice“ gelaufen, in den USA, als es mit den Olympiaden vorbei war.

Das Spektakel in Tegel ist amerikanisch – bunt, laut, und weitgehend sinnfrei. Die neonerleuchtete Vorhalle im Showzelt besticht durch Nüchternheit. Hier kauft man Sekt, Bier, Bockwurst und Crêpes. Ein glitzernder Stand bietet „Holiday on Ice“-Nippes, Schlittschuhe, die man sich an den Autospiegel hängen kann. Männer mit Schnauzbärten und pudelfrisierte Frauen warten in langen Schlangen an zwei Eingangsschleusen. Die Karten kosten zwischen achtundzwanzig und vierundsechzig Mark, die Plätze sind nach Preiskategorien in Blöcke geteilt: Wer im Block D sitzt, hat am meisten bezahlt, und blickt frontal auf die Eisfläche.

Die Leute treten unruhig auf der Stelle, sie wollen endlich auf den Plätzen sitzen, deren Nummern auf ihren Tickets stehen. Hier kommt man schließlich nicht zum Trödeln her, sondern wegen der Kultur. Und die lauert neben der Tribüne, bereit zum Sprung auf den ahnungslosen Zuschauer. Karnevalisten in goldbetrassten Kostümen prosten sich mit ner Molle zu, streichen sich die Bäuche. Schlag acht wird das Licht abgedreht, die Platzanweiserinnen verschwinden. Wir stehen konfus im Dunklen, und dann in einem Lichtkegel. „Los, weg hier“, schnauzt der Beleuchter. Er blendet auf die Karnevalstruppe mit den Glitzerhüten, die in Berlin „kräftisch feiern“ will und dreimal „Berlin an der Spree – olé, olé, olé“ brüllt. In Block D, dem mit den besten Plätzen, wird gleich mitgeklatscht.

Dann beginnt die Show. Mädels und Jungs tanzen in gelben Röckchen und Höschen auf „Backstreet Boys“. Sie sind Ghetto-Kids und ihr Reich ist die Straße mit ihren wilden Gesetzen. Eine der Straßentänzerinnen wird von ihrem Mentor „entdeckt“, verlässt ihre kleine Welt und reist in die unendlichen Weiten des Tanzes. Eine moderne Einweihungsgeschichte will das sein, Unterhaltung „für Jung und Alt“, vorverdautes Futter. Den meisten Leuten in den Blöcken schmeckt es, sie schlucken. Wenn sie einen Groove wiedererkennen, schunkeln sie mit, wenn die Eistänzer springen, wacklig aufkommen und sich abfangen müssen, dann klatschen die Leute, als hätte Kati Witt gerade einen dreifachen Rittberger aufs Eis gelegt.

Das ist Publikumsverarsche, meint meine Begleitung. Doch es gefällt, das Eiszelt am Kurt-Schumacher-Damm ist ausverkauft. Die Leute kommen, und gucken sich an, was sie nicht haben: Eislaufknackärsche, die Pirouetten hinlegen, Schwünge und Sprünge. Geschminkte Gesichter, die ins Publikum kampfgrinsen und „gute Laune“ verbreiten. Ein Tänzer ist dabei, mit vorne kurze Haare hat und hinten lange. Darüber lacht aber keiner. Zum Schluss treten alle Eismädchen in Glühbirnen-Kostümen auf. Sie blinken und glitzern wie Funkenmariechen.

JANA SITTNICK

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