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Südlich der Wolken

Mit dem Fahrrad durch die chinesische Provinz Yunnan: Die in der Kulturrevolution zerstörten, buddhistischen Höhlenklöster beherbergen die „Mona Lisa des Ostens“. Fotografieren ist tabu

von VOLKER HÄRING

Früher Morgen auf dem Flughafen der chinesischen Provinzhauptstadt Kunming. Wie in vielen Städten Chinas wurde auch hier eine neue Wartehalle gebaut, um dew rapide ansteigenden Passagieraufkommens Herr zu werden. Schon heute ist das Flugzeug auf langen Strecken das wichtigste Verkehrsmittel in China, zumal Flugtickets kaum teurer sind als Zugfahrscheine.

Geradezu archaisch mutet es hier an, wenn jemand längere Strecken mit dem Fahrrad zurücklegen möchte. Das Velo gilt in dem „Königreich der Fahrräder“ zunehmend als Fortbewegungsmittel armer Leute; wer es sich leisten kann, nimmt ein Taxi oder zweckentfremdet das Auto der Firma. Doch zeigt sich, vor allen Dingen in den großen Städten, ein Gegentrend: Die ersten Mountainbike-Clubs entstehen, in den Schaufenstern der Radläden prunken vollgefederte Aluräder aus Markenproduktion. So war unsere Gruppe in den Dörfern, durch die wir geradelt kamen, eine Attraktion. Eine vielstimmiges „Hallo“ hallte uns entgegen, oft auch ein gerauntes „Hao!“, „Klasse!“, der Anerkennung. Nur zuweilen kam die Frage, warum wir nicht den Bus nähmen; das sei doch bequemer.

Langsam lichtet sich der Morgennebel. Kunming liegt auf fast 2.000 Meter Höhe, daher ist es hier selbst im August frisch, kaum einmal mehr als 25 Grad und nachts immer noch angenehme 15 Grad. Nach kurzer Wartezeit bringt uns die Maschine der Yunnan Airlines in das 650 Kilometer entfernte Zhongdian, das bereits stark tibetisch beeinflusst ist. Im Hotel nehmen wir unsere Mountainbikes entgegen. „Aus Deutschland mitgebracht?“, werden wir oft gefragt. Unsere Antwort, die Räder hätten wir in China gekauft, löst zumeist ein ungläubiges Kopfschütteln aus. Das tibetische Hotelpersonal begrüßt uns mit einem 55-prozentigen Hirseschnaps, der uns in der Höhe von 3.200 Metern sofort in den Kopf steigt. Dementsprechend fröhlich wird unsere erste Erkundungstour mit den Rädern zum Songzalin-Kloster.

Einst größtes tibetisches Kloster außerhalb des tibetischen Kerngebietes, ließ die Kulturrevolution nur wenig von der Anlage übrig. In den letzten zehn Jahren wurden große Anstrengungen unternommen, das Kloster wieder aufzubauen, und so leben jetzt wieder einige Hundert Mönche in der Anlage. Von der Terrasse vor dem Hauptgebäude haben wir einen atemberaubenden Blick auf unendlich erscheinende Weiden.

Nankang, unser tibetischer Reiseleiter, lädt uns ein, seine Familie zu besuchen. Seine Mutter und seine Schwester empfangen uns mit Buttertee und Zampa. Nankang erzählt, dass seine elfjährige Schwester nur noch ein Jahr zur Schule gehen könne. Zwar ist in China die Schulausbildung immer noch kostenfrei, Bücher, Schreibzeug und Schuluniform müssen allerdings bezahlt werden, und dies ist für viele Familien zu teuer.

Am nächsten Tag verlassen wir Zhongdian. Mittagspause machen wir in einem Dorf, das bekannt für seine Yakprodukte ist. Yakhörner gibt es hier zu erstehen; daneben trocknen Yakhoden und -penisse in der Sonne, die angeblich gut für die Manneskraft sind. Wir stärken uns lieber mit einer kräftigen Yakfleisch-Nudelsuppe, bevor es dann in rasanter Fahrt 50 Kilometer bergab nach Qiaotou geht, dem Eingangstor zur Tigersprungschlucht. Bis zu 3.900 Meter ist die Schlucht tief, durch die sich der Yangzi sein Bett gefressen hat. Im Süden thront der 5.600 Meter hohe Jadedrachenschneeberg, den wir auch von unserer nächsten Station, der Kleinstadt Lijiang aus sehen.

Auf unserem Weg dorthin radeln wir noch 40 Kilometer am Yangzi entlang. Die Stadt mit ihrer historisch einmaligen Holzarchitektur wurde 1996 durch ein Erdbeben schwer beschädigt. Ironischerweise blieben die meisten der alten Holzhäuser stehen, während die neuen Häuser wie Kartenhäuser in sich zusammenfielen. Heute ist Lijiang Teil des Unesco-Weltkulturerbes und wurde mit großem Aufwand wieder aufgebaut.

Auf einem Tagesausflug treffen wir Dr. Ho, einen taoistischen Medizinmann, der uns seinen berühmten Tee anbietet. „Nice bloke, crap tea“, hat ihm John Cleese ins Gästebuch geschrieben. Auf dem Weg nach Dali machen wir Zwischenstation an den Tempelanlagen des „Steinschatzberges“. Die in der Kulturrevolution nicht zerstörten buddhistischen Höhlenklöster sind im Westen kaum bekannt. Besonders fasziniert uns ein in Stein gehauenes Bildnis der „Göttin der Barmherzigkeit“ Guanyin. „Die Mona Lisa des Ostens“, erklärt uns die Führerin. Nein, fotografieren dürften wir nicht, das bringe Unglück! Und eine saftige Strafe.

Eine letzte lange Abfahrt und wir erreichen den Erhaisee und Dali, den Endpunkt unserer Tour. Hier empfängt uns ein chinesisches Fernsehteam. Zehn Langnasen auf Fahrrädern in China, das ist einen Bericht wert. Neeman, der Besitzer des „Mekong Center of Art“ und alter Freund aus Studientagen, nutzt unsere Ankunft, um ein wenig Werbung für sein Guesthouse zu machen. Zu unserer Begrüßung hat er ein Festessen vorbereitet, Spezialitäten der Region, viel Fisch und Pilze in allen Variationen. Dali, einst Geheimtipp unter Rucksacktouristen, entwickelt sich zunehmend auch zum Ziel chinesischer Urlauber. In der „Ausländerstraße“, mitten in der restaurierten Altstadt, fotografieren sie Ausländer und decken sich mit Souvenirs ein.

Wir verlassen Dali mit dem Nachtzug. Spitzendeckchen und strahlend weiße Gardinen schmücken unsere Schlafwagenabteile. Eine Verkäuferin schiebt einen kleine Wagen durch die Gänge. „Pijiu, Fangbianmian!“, ruft sie, Bier und Instantnudeln, bis alle Passagiere sich mit Reiseproviant eingedeckt haben. Nach der Ankunft in Kunming nehmen wir ein letztes chinesisches Frühstück mit Nudelsuppe und Maultaschen zu uns, und fahren dann zum Flughafen. Pünktlich heben wir in Richtung Peking ab. Ein letzter Blick fällt auf die Ausläufer des Himalayas. Dazwischen immer wieder Seen und rote Erde, soweit das Auge blickt. Yunnan, die Provinz „Südlich der Wolken“, ist allemal eine Rückkehr wert.

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