DER EURO-TAZ-KOMMENTAR: Künast ist nicht konsequent
An diesem Montag wird Agrarkommissar Franz Fischler den Vorhang zu einem jener absurden EU-Theaterstücke heben, in denen die Ereignisse wieder und wieder von vorn beginnen. Regisseure nutzen das Stilmittel gern, um Sinnlosigkeit menschlichen Tuns in Szene zu setzen. Beim Treffen der Agrarminister in Brüssel führt niemand Regie, die Botschaft aber ist die Gleiche: Zwei Jahre nach dem verpfuschten Agrargipfel von Berlin, mitten in der größten Vertrauenskrise, die die Lebensmittelindustrie der Gemeinschaft je erlebt hat, bleiben Regierungen und Fachminister den alten Rezepten treu.
Zur Erinnerung: Es war der Agrarkommissar, der auch damals schon Franz Fischler hieß, der den Mitgliedsstaaten 1999 ein Agrarreförmchen andiente, das immerhin den Einstieg in den Ausstieg aus dem Wahnsinnskreislauf von Überproduktion und Vernichtung bedeutet hätte. Die Staatschefs winkten ab – jeder bei einem anderen Punkt und mit anderer Begründung, aber alle mit dem gleichen Motiv: Nationale Pfründen dürfen nicht angetastet werden.
Am Montag nun unternimmt Fischler einen zweiten, noch zaghafteren Versuch, die schlimmsten Auswüchse gemeinschaftlicher Agrarpolitik auszumerzen – zumindest in den Bereichen, die sich durch den BSE-Schock täglich selbst ad absurdum führen. Sein Siebenpunkteplan, den er vergangene Woche im EU-Parlament vorstellte, ist eine Mischung aus rascher Krisenreaktion und mittelfristigem politischem Umlenken. So will Fischler einerseits noch mehr Rindfleisch aufkaufen und dadurch den Preisverfall aufhalten, andererseits die Prämien kürzen und dadurch erreichen, dass weniger Rindfleisch produziert wird.
Während damals in Berlin alle Staatschefs einstimmig die Grundzüge der Agrarpolitik für die kommenden sieben Jahre festlegen mussten, würde jetzt schon eine qualifizierte Mehrheit ausreichen, um den Fischler-Plan abzusegnen. Doch auch die wird nach Überzeugung von EU-Diplomaten nicht zu Stande kommen. Die „Gemengelage“ sei ganz ähnlich wie in Berlin.
Das ist erstaunlich. Hat sich doch im größten Nettozahlerland die „Gemengelage“ im Kabinett seither gewaltig verändert. Agrarlobbyist Funke ist nicht mehr dabei in Brüssel und kann die Fahne der bäuerlichen Großbetriebe in Ostdeutschland nicht länger hochhalten.
Diese Rolle übernimmt aber nun ganz widerspruchslos seine Nachfolgerin. Während andere grüne Agrarpolitiker wie der EP-Abgeordnete Graefe zu Baringdorf oder die nordrhein-westfälische Umweltministerin Bärbel Höhn Fischlers Vorschlag begrüßen, nur noch 90 Bullen pro Betrieb zu fördern, fürchtet sich Renate Künast vor der Reaktion der ostdeutschen Bauern. Ihre Beteuerungen zum Amtsantritt, Verbraucherinteressen in ihrer Politik an die erste Stelle zu setzen, klingen hohl, seit man ihre Reaktion auf den Fischler-Plan kennt.
Natürlich ist eine Betriebsgröße von maximal neunzig Bullen kein Rezept gegen den Rinderwahn. Bislang gibt es keine Hinweise darauf, dass Massenbetriebe für die Seuche anfälliger sind als kleine Höfe. Künast aber hatte versprochen, dass die Steuerzahler für ihre Agrarmilliarden zukünftig bekommen, was ihnen langfristig nutzt: abwechslungsreiche Kulturlandschaft, Arbeitsplätze im ländlichen Raum, umweltschonende Produktionsmethoden statt Monokulturen und Großmästereien.
Die 90-Bullen-Grenze wäre ein Signal in diese Richtung gewesen. Dass es in der Gemeinschaft keine Mehrheit für den langsamen Abschied vom Quoten und Prämienwahn gibt, ist bedauerlich aber nicht überraschend. Dass sich die neue deutsche Verbraucherministerin schon nach vier Amtswochen dem Trott ihrer Fachkollegen anpasst, ist ein Schock für alle, die auf eine Trendwende im deutschen Landwirtschaftsministerium gehofft hatten.
Die schweigende Mehrheit der Verbraucher allerdings geht gemeinsam mit der sie schützenden Ministerin zur Tagesordnung über und isst wieder mehr Rindfleisch. Aus Süddeutschland berichten Metzger von einem interessanten soziologischen Experiment: Rindfleisch zum halben Preis findet dort reißenden Absatz – ohne dass jemand wissen will, woher es stammt.
DANIELA WEINGÄRTNER
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