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Vertreibung aus Borneo

Die indonesische Regierung evakuiert die bedrohte Minderheit von der Insel. Bei Überfällen der alteingesessenen Dayak auf Zuwanderer aus Madura kommen zahlreiche Menschen ums Leben

von JUTTA LIETSCH

Im indonesischen Teil der Insel Borneo geht die blutige Vertreibung maduresischer Siedler weiter: Mindestens 270 Menschen sind in den letzen Tagen von Angehörigen des Dayak-Volkes ermordet worden. Die Gewalt ist inzwischen von der Stadt Sampit auf andere Orte übergesprungen. Auch in der rund 200 Kilometer weiter südwestlich gelegenen Provinzhauptstadt Palangkaraya gingen gestern Häuser von Maduresen in Flammen auf.

Polizei und Armee konzentrieren sich seit dem Wochenende darauf, die bedrohte Minderheit zu evakuieren. Bis gestern waren rund 8.000 Männer, Frauen und Kinder auf dem Weg zur Insel Madura, die viele von ihnen noch nie gesehen haben, da schon ihre Eltern die Heimat verlassen hatten und nach Kalimantan – wie der indonesische Teil Borneos heißt – gekommen waren. Diese Maduresen zählen zur wachsenden Schar von hunderttausenden Flüchtlingen im eigenen Land, die vor den Kämpfen auf Borneo, auf den Molukken, in Aceh und Irian Jaya fliehen mussten.

Die Massaker sind die böse Folge der „Transmigrasi“-Politik der Regierung in Jakarta, die seit den Sechzigerjahren Hunderttausende Bewohner dicht besiedelter Inseln wie Java oder Madura in entlegene Regionen umsiedelte – ohne sich um die sozialen Folgen zu kümmern. Auf Borneo fühlen sich die Dayaks von den besser ausgebildeten und geschäftlich aggressiveren Maduresen bedroht. Was die jüngste Welle der Gewalt ausgelöst hat, ist noch nicht ganz klar. Nach Polizeiangaben sollen zwei frustrierte Beamte in Sampit die Angriffe angezettelt haben.

Anders als auf den Molukken haben die Unruhen auf Borneo bisher keine religiöse Färbung angenommen: Obwohl die Maduresen überwiegend Muslime sind und viele Dayaks Christen, richtet sich die Wut nicht gezielt gegen Moscheen und Kirchen.

Die Unfähigkeit der Behörden, die Gewalt zu verhindern, ist eklatant: Seine 900 Beamten, verteidigt sich der örtliche Polizeichef Bambang Pranoto, können nichts gegen die Übermacht der Dayaks ausrichten und konzentrieren sich deshalb auf den Schutz der Flüchtlingslager.

Augenzeugen in Sampit berichten, wie Gruppen von Dayak-Männern mit Messern und Äxten systematisch Jagd auf Maduresen machen und deren Häuser anzünden – oft unter den Augen der Polizei. Die Männer, die auf Lastwagen durch die Städte fahren und dabei abgeschlagene Köpfe ihrer Opfer hochhalten, sind Bauern aus dem Hinterland ebenso wie Stadtbewohner.

Eine Strategie zur Konfliktlösung hat die Regierung offenbar nicht. Präsident Abdurrahman Wahid rief die Bewohner Borneos zur Ruhe auf. Er hielt es nicht für nötig, eine Reise abzusagen, die ihn durch Afrika und den Nahen Osten führt. Immerhin reisten gestern Regierungsmitglieder nach Sampit. Zur Delegation zählten unter anderem der einflussreiche Sicherheitsminister Susilo Bambang Yudhoyono, Militärchef Admiral Widodo und Polizeichef Bimantoro. Aus anderen Provinzen trafen zusätzliche Armeeeinheiten ein.

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