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Der Hafenkrieg ist entschieden

aus Cuxhaven und WilhelmshavenHEIKE HAARHOFF

Sie hatten beim Bier zusammengesessen und geflucht und sich den Kopf zerbrochen, damals, vor etwa sieben Jahren. Irgendwo musste der Baggersand aus der Fahrrinne verklappt werden. Irgendwo, wo er nicht mit dem nächsten Sturm wieder zurückgespült würde in den Jadebusen. Bloß wo? Je weiter weg, desto teurer der Transport. Je näher am Jadebusen, desto absehbarer die Wiederverlandung. Es war zum Verzweifeln, und die Vereinsmänner der Wilhelmshavener HafenwirtschaftsVereinigung, kurz WHV wie das Autokennzeichen der Stadt Wilhelmshaven, ahnten, dass auch dieser Abend ebenso gesellig wie ergebnislos ausklingen würde.

Aber als auf das Bier die ersten Schnäpse folgten, traute sich einer. Was, fragte er, wenn man das lästige Baggergut einfach an Land packen würde? Genauer gesagt dorthin, wo das Land aufhört und das Meer anfängt, ganz so, wie die Holländer es seit Jahren machen und das Ganze dann Landgewinnung nennen. Prima!, rief einer, wir vergrößern unsere Hafenflächen! Die anderen grölten über den Vorschlag, der so absurd schien. Denn an Platz mangelt es in Wilhelmshaven wirklich nicht: 12.000 Menschen haben die arg zersiedelte Stadt, 1869 vom späteren Kaiser Wilhelm als Kriegshafen angelegt, in den vergangenen 20 Jahren auf der Suche nach Jobs verlassen. Die Zahl der Einwohner liegt mittlerweile nur noch bei 88.000, die Arbeitslosigkeit bei 13 Prozent, und wann immer ein Verteidigungsminister seinen Besuch an der Nordseeküste ankündigte, hieß das im Grunde nichts weiter, als dass eine weitere Verkleinerung der Marineeinheiten bevorstand. Das Marineamt, eine der wichtigen zentralen Kommandobehörden, das zeichnete sich schon damals ab, würde Wilhelmshaven im Zuge der deutschen Einheit an Rostock abtreten müssen, was dann auch 1997 geschah. Und die zivile Nutzung des Hafens, an die die Wilhelmshavener in den 70er-Jahren geglaubt hatten wie Kinder an den Weihnachtsmann, brachte auch nicht den erhofften wirtschaftlichen Aufschwung: Ein Großteil der damals erschlossenen Hafenflächen liegt noch heute brach. Und in so einer Situation weiteren Grund mit Baggergut erschließen? Das Gelächter war groß.

Bis einer in der WHV-Runde, ein gewisser Detlef Weide, sagte, es müsse dann bloß gelingen, tatsächlich mit den Holländern zu konkurrieren: Liege Wilhelmshaven denn nicht wie Rotterdam am Meer? Sei Wilhelmshaven nicht schon jetzt Deutschlands einziger Tiefwasserhafen, den – rein theoretisch – Schiffe mit einem Tiefgang bis zu 20 Metern jederzeit, weil tideunabhängig, anlaufen können? Gebe es vielleicht ein Gesetz, das den beiden großen Häfen Hamburg und Bremen das Löschmonopol auf Containerschiffe zusichere? Detlef Weide setzt eine feierliche Miene auf: „Es war die Geburtsstunde des JadeWeserPort.“

Dass sein Traum Wirklichkeit wird, steht nun so gut wie fest. Bei einem nicht richtig geheimen Geheimtreffen haben die Chefs der Nordländer Bremen, Niedersachsen und Hamburg Ende letzter Woche für Wilhelmshaven als Standort eines Tiefwasserhafens plädiert, berichtet das Branchenblatt Deutsche Verkehrs-Zeitung.

Dabei hat Detlef Weide damals niemand geglaubt, dass er, ein pensionierter Fallschirmspringer von 64 Jahren, ehrenamtliches Mitglied bei der WHV, Deutschlands größten Tiefwasser-Containerterminal planen könnte. Mit privatwirtschaftlich finanzierten Gutachten und Machbarkeitsstudien und so detailliert gerechnet und beschrieben, dass der JadeWeserPort gute Aussichten auf einen Baubeginn im nächsten Jahr hat. Der Vorvertrag mit „Eurogate“, einem fusionierten Konsortium aus dem Hamburger Hafenunternehmen Eurokai und der Bremer Lagerhaus Aktiengesellschaft (BLG) als künftigem Betreiber des Terminals, ist bereits geschlossen. Und vor Ort tut man bereits so, als sei der JadeWeserPort bereits Wirklichkeit: „PommPort“ heißt eine Frittenbude in der Fußgängerzone, „Jade Center“ das größte Einkaufszentrum der Innenstadt.

„Da sind Spinner am Werk, hieß es immer aus Hamburg.“ Detlef Weide macht keinen Hehl daraus, wie arrogant er die ablehnende Haltung von Hamburger Senat, Handelskammer und der staatseigenen Hamburger Hafen- und Lagerhaus-Aktiengesellschaft (HHLA) findet, die bis zuletzt mit allen Mitteln versucht haben, einen Großhafen in Wilhelmshaven zu verhindern, der ihnen mittelfristig das Wasser abgraben könnte (siehe Text rechte Seite). Doch seit Freitag ist der Hafenbau sehr wahrscheinlich geworden, auch wenn die offizielle Entscheidung erst Ende März fällt.

Seit vor einem dreiviertel Jahr die WHV erstmals ihre Pläne im großen Stil öffentlich vorstellte, ging ein „Big Bang“ (WHV-Eigenwerbung) durch die Republik. Deutschlands Traditionshäfen Hamburg und Bremen wirkten wie aus dem Schlaf gerissen, Hamburg zauberte binnen Wochen eine Alternativplanung für einen Tiefwasserhafen im Urlaubs- und Fischereistädtchen Cuxhaven an der Nordseeküste, 137 Kilometer vor den Toren Hamburgs, aus dem Hut. Der wäre zwar kleiner als der in Wilhelmshaven geplante und würde bloß dazu dienen, die Containerschiffe, die so großen Tiefgang haben, dass sie die Elbe nicht passieren können, zu löschen und auf kleinere Schiffe umzuverteilen. Der Vorteil: Das lukrative Geschäft der Warenverteilungen und -verkäufe bliebe der Stadt Hamburg erhalten, und der neue, millionenschwere Container- und Logistikterminal in Altenwerder, für den die Stadt ein gesamtes Dorf mit 2.000 Einwohnern absiedeln ließ, wäre nicht umsonst gebaut. Seitdem herrschte Kleinkrieg zwischen Wilhelmshaven einerseits und Cuxhaven beziehungsweise Hamburg andererseits. In der Niedersächsischen Hafenvertretung, in der sowohl Cux- als auch Wilhelmshaven sitzen und bislang an einem Strang für niedersächsische Interessen zogen, kostete selbst das gegenseitige Grüßen Überwindung.

Eberhard Menzel weiß das. Er ist der Bürgermeister von Wilhelmshaven, ein Mann, der leise spricht, wenn er sagt: „Dieser Hafen ist unsere einzige Chance.“ Alles haben sie in Wilhelmshaven probiert, alles und mit vereinter Kraft: die Stadtverwaltung, die Geschäftsleute, die Unternehmen. Eine Fachhochschule mit 3.000 Studienplätzen angesiedelt – aber wenn die Absolventen einen Job suchen, wandern sie notgedrungen nach Süddeutschland ab und kehren bestenfalls als Rentner in den Norden zurück. Das, sagt Eberhard Menzel, könne doch wohl keine Perspektive sein. Und: „Man kann schließlich keine Kuckucksuhrfabrik an der Nordseeküste ansiedeln.“

Doch davon war in den Wochen vor der Entscheidung wenig zu spüren. Der Deutsche Gewerkschaftsbund, Region Elbe-Weser, witterte schon neue Arbeitsplätze, forderte von seinen Mitgliedern entsprechenden Einsatz für Cuxhaven und verstieg sich zu der Behauptung: „Hier ist es wie beim Rechtsradikalismus: Wer schweigt, macht sich mitschuldig.“ Diese Passage wurde später geschwärzt in der DGB-Pressemitteilung. „Gut“, sagt der Vorsitzende Hans-Jürgen Steinau, „das hatten wir eben in der ersten Aufregung so formuliert.“ Aber kann man die Wut nicht verstehen? „Seit Jahren werden hier Küstenstrukturprogramme aufgelegt, aber es passiert nichts. Wirtschaftlich gesehen sind wir auf dem Stand von vor zwanzig Jahren.“

Seit es billiger ist, Kabeljau und Sprotten direkt auf hoher See zu Fischstäbchen zu pressen, hat es die Fisch verarbeitende Industrie in Cuxhaven schwer. Eine Umorientierung auf andere Wirtschaftszweige wusste Hamburg, das bis 1937 über Cuxhaven herrschte und in die Pässe der dortigen Bürgerinnen und Bürger als Geburtsort Hamburg einstempeln ließ, zu verhindern: Per Staatsvertrag ließen sich die Hamburger noch 1993 zusichern, dass in Cuxhaven weder Containerschiffe gelöscht noch die Eisenbahnstrecke nach Hamburg ausgebaut werden dürfte.

„Wir haben schon immer am Tropf von Hamburg gehangen“, räumt Helmut Heyne, der Bürgermeister von Cuxhaven, ein. Früher, so geht die Legende, schickten sie den Cuxhavenern im Sommer Brause und im Winter Decken; heute begnügen sie sich damit, dass ihr Wappen immer noch als Tafel am Rathaus von Cuxhaven hängt und dass die Cuxhavener alles dafür tun sollten, den Tiefwasserhafen zu sich zu holen.

„Ganz objektiv betrachtet“, sagt Uwe Kühne, Geschäftsführer des Cuxhavener Wirtschaftsrats, „ist Wilhelmshaven schon das Schlusslicht in Niedersachsen.“ Aber ist das ein Grund, freiwillig aus dem Rennen auszuscheiden? So schrecklich viel besser geht es Cuxhaven schließlich auch nicht. „Wir haben die besseren Argumente“, schimpfte Uwe Kühne vom Wirtschaftsrat noch kürzlich, „wir machen’s für die Hälfte, 500 Millionen. Diese Zahl hatte ihm die Hamburger Hafen- und Lagerhaus-Aktiengesellschaft mitgeteilt, andere Gutachten lagen ihm nicht vor.

Aber Unterlagen aus Wilhelmshaven hat Kühne vorzuweisen. Dort hatte man in der Phase des heißen Kampfes zwischen den beiden Städten den Zeitungen eine Grafik beigelegt: eine Landkarte von Cuxhaven und seinen umliegenden Dörfern. Darübergelegt: eine rote Grenzlinie, die ein gigantisches Trapez beschreibt, unter dem mindestens drei Dörfer und Stadtteile von Cuxhaven verschwinden würden: die Ausmaße des geplanten Wilhelmshavener JadeWeserPorts.

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