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Mohikaner in der Service-Wüste

■ Im Bürgeramt Horn-Lehe saß gestern ein Sachbearbeiter dort, wo eigentlich acht sitzen müssten / Beirat befürchtet Niedergang des Modellprojekts – aus Personalmangel

Rente 04/99, Krank, Rente 01/99, Urlaub 2 Tage, Rente 01/99, Versetzt 04/00: Das sind, kurz gesagt, die Probleme des Bürgeramts Horn-Lehe. Nachdem frei werdende Stellen nicht mehr besetzt werden, droht der Modelleinrichtung nach Ansicht von Mitarbeitern und Ortsteilpolitikern ein schleichender Niedergang – trotz der Überlegungen, in Bremen ein Netz von lokalen Dienstleistungszentren zu schaffen. Gestern waren nur zwei der acht Arbeitsplätze besetzt. Auf den restlichen Stühlen vertraten Papierschilder die fehlenden Sachbearbeiter.

Immerhin: Nachdem mehrere Bremer Zeitungen am Wochenende – fälschlicherweise – berichtet hatten, das Ortsamt Horn-Lehe bliebe am Montag geschlossen, begann auch der Tag im Bürgeramt in der ersten Etage verhältnismäßig entspannt. Normalerweise jedoch, so Sachbearbeiterin Petra Schmücker, säßen „zwanzig Leute und mehr“ im Warteraum, „die stauen sich bis unten“. Die Wartezeit würde bis zu eineinhalb Stunden betragen. Auch die eigene Arbeit leide unter der Situation, sagt Halbtagskraft Schmücker, die sich im Bürgeramt bereits einen „Stress-Tinitus“ gefangen haben will.

Dort sind mittlerweile vier der 1998 noch 7,5 Stellen nicht mehr besetzt. „Wären mehr Mitarbeiter krank, könnten wir den Laden dichtmachen“, meint Personalrat Harm Dunkhase. Arbeit nach Dienstschluss scheint sich indes noch in Grenzen zu halten: Jeder schiebe etwa zehn Überstunden vor sich her, berichtet Dunkhase. Eine Folge des Personalmangels: Das Bürgeramt hat nur noch am Montag auch nachmittags geöffnet. Einsame Stunden für Dunkhase, dem letzten Service-Mohikaner im Bürgeramt Horn-Lehe.

Der Vergleich mit den anderen beiden Bürgerämtern zeigt, warum auch der zuständige Ortsbeirat die Personalsituation als „dramatisch“ bezeichnet: Die Blumenthaler Einrichtung, die rund 34.000 Menschen versorgen muss, ist zur Zeit mit fünf Stellen ausgestattet; in Vegesack mit seinen etwa 34.500 Einwohnern sind es sechs. Horn-Lehe ist für einen Einzugsbereich von 38.000 Einwohnern zuständig.

Und die Besucherfrequenz steigt: Laut dem Beiratssprecher Horn-Lehe, Hansjörn Hintmann (CDU), ist die Zahl seit Einrichtung des Bürgeramts um 20 bis 30 Prozent gestiegen. Hintmann schätzt, dass in einigen Jahren doppelt so viele Menschen in die Berckstraße kommen werden wie 1998. Zum Einzugsbereich des Bürgeramts gehören nicht nur Horn-Lehe selbst, sondern auch Oberneuland – und die Neubaugebiete in Borgfeld. Auch Bremer aus anderen Stadtteilen scheinen das Bürgerzentrum zu nutzen – um beispielsweise ihren Paß zu verlängern, Hund & Radio anzumelden, Lohnsteuerfragen zu enträtseln. Demnächst darf auch geheiratet werden.

Der Beirat fordert nun, alle freien Stellen unverzüglich wieder zu besetzen, um „ein drohendes Aus einer dienstleistungsorientierten Verwaltung“ zu verhindern. In Horn–Lehe werde an absolut falscher Stelle gespart, meint Sprecher Hintmann mit Blickrichtung auf Innensenator Bernt Schulte (CDU). Der Senator solle Farbe bekennen, fordert auch der Sprecher der Grünen im Beirat, Dieter Mazur, sonst sei das Thema Bürgerämter nichts weiter als eine Mogelpa-ckung. Wenn die „blanke Finanznot“ ihn dazu zwinge, nichts mehr in die Ämter zu investieren, „dann soll er doch sagen: Das Modell ist gescheitert“. Möglicherweise setze man im Innenressort ja doch wieder auf Zentralisierung, mutmaßt der Grüne. Schließlich werde eine zentrale Meldestelle in der City geplant.

Aus dem Innenressort heißt es dazu, man könne keine Personalentscheidungen treffen, wenn in Sachen Dienstleistungszentren/Beirätereform noch keine Entschlüsse vorliegen würden. Eines stehe jedoch fest, so Schulte-Sprecher Markus Beyer: „Das Bürgeramt in Horn-Lehe wird mit Sicherheit bestehen bleiben.“ Es solle sogar leistungsfähiger werden. Notwendig ist Beyer zufolge jedoch ein „großer Wurf“ für ganz Bremen, nicht die Lösung „kurzfristiger Probleme“ vor Ort. In Horn-Lehe, meint Beyer, räche sich zur Zeit eben der Erfolg. hase

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