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Die Schweiz – ein Kifferparadies?

Regierung und Parlament wollen „weiche Drogen“ entkriminalisieren und Marihuana künftig wie Alkohol und Tabak behandeln. Kommerzieller Anbau bleibt allerdings verboten. Schon heute gehört das Kiffen im Alpenland zum Volkssport

aus Genf ANDREAS ZUMACH

Wer regelmäßig mit der Eisenbahn von Basel in die Westschweizer Metropole Genf fährt, dem dringen schon heute oft süße Cannabisdüfte in die Nase. Selbst wenn der Schaffner naht, verstecken nur einige Haschischkonsumenten ihren Joint hastig unter der Jacke.

Doch bald wird überhaupt keine Heimlichkeit mehr nötig sein. Der Berner Bundesrat, die siebenköpfige Regierung der Schweiz, wird am Mittwoch einen Gesetzesentwurf zur Entkriminalisierung weicher Drogen vorlegen. Der Konsum von Marihuana soll ebenso erlaubt werden wie der für den Eigenbedarf erforderliche Besitz, Erwerb und Anbau von Hanfpflanzen. Verboten bleiben sollen lediglich der gewerbsmäßige Anbau und Handel. Die Annahme des Gesetzes durch das Parlament, den Nationalrat, gilt als gesichert.

Die eidgenössische Regierung reagiert mit dem Gesetz auf die Realitäten in der Alpenrepublik. Schon heute konsumiert jeder vierte Schweizer zwischen 15 und 74 Jahren regelmäßig Marihuana. Das ergab eine vor wenigen Tagen veröffentlichte Umfrage unter 1.600 Eidgenossen dieser Altersgruppe. 87.000 Schweizer ziehen sich sogar täglich mindestens einen Joint rein. Bei den Jugendlichen unter 24 Jahren hat jeder zweite schon mindestens einmal gekifft. In der Alpenrepublik existiert ein dichtes Netz von etwa 200 Hanfläden, in denen Marihuana verkauft wird – ganz offen oder kaum getarnt als „Trockenblumen“, Hanftaler oder Duftsäckli.

Zu den entschiedensten Befürwortern einer Entkriminalisierung von Marihuana gehört der Direktor des Berner Bundesamtes für Gesundheit, Thomas Zeltner. Die Schweiz reagiere mit dieser Maßnahme lediglich auf die wissenschaftliche Erkenntnis, dass Marihuana nicht zur Gruppe der harten Drogen wie Heroin oder Kokain gehöre, sondern in dieselbe Kategorie wie Alkohol und Tabak. Außerdem sei Selbstschädigung in der Schweiz nicht strafbar.

Zeltners Zweifel an der Wirksamkeit von Verboten weicher Drogen werden von den Ergebnissen der Umfrage gestützt. In den französischsprachigen Westschweizer Kantonen wie Genf, Jura und Fribourg, die bislang eine repressive Drogenpolitik praktizierten, ist der Konsum von Marihuana deutlich höher als in Zürich, Basel, Bern und anderen Deutschschweizer Kantonen mit einer liberaleren Politik. 70 Prozent aller Befragten äußerten die Ansicht, dass Verbote das Kiffen nur noch reizvoller erscheinen lassen.Eine Mehrheit der Bevölkerung spricht sich laut Umfrage für eine Liberalisierung aus. Auch im Parlament treffen die Pläne der Regierung lediglich auf den Widerspruch der konservativen Schweizer Volkspartei.

Selbst einigen Befürwortern bereitet allerdings die Vorstellung Sorge, dass die Schweiz nach einer Liberalisierung zum beliebtesten Ziel europäischer Drogenkonsumenten wird. Schon heute wachsen in der Alpenrepublik auf rund 200 Hektar genauso viele Cannabispflanzen wie in den Niederlanden, die doppelt so viele Einwohner haben. Ein Großteil der Ernte geht in den Export. Künftig, so die Befürchtungen, könnte der schon heute rege Drogentourismus vor allem an der Grenze zu Deutschland noch erheblich zunehmen und auch dort eine ähnliche Infrastruktur für den Verkauf und Konsum von Drogen entstehen wie an der holländisch-deutschen Grenze.

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