Seele im Kasten

Lang süß und kurz spitz: Der Bandoneon-Spieler Juan Jose Mosalini setzte in der Philharmonie Tangos in Szene

Mosalini gibt sich wie ein sehr ernsthafter Musiker, der sehr ernsthafte Musik zum Besten zu geben hat

Vielleicht hätte einen das Umfeld stutzig machen sollen. Der vornehme Musentempel der Philharmonie und all die feinen Damen und Herren dort in ihrer noch feineren Abendgarderobe. Das ist für gewöhnlich nicht das Klima, in dem Tango gedeiht, so sauber, so rein.

Tango, der Tango, den wir lieben, braucht es schmutzig, verraucht ein wenig, verrucht gar, ein bisschen zumindest, schließlich hat man ihn einst in Buenos Aires in Bordellen und Hafenbars geboren. Dass da dann einer auf der Bühne stand am Dienstagabend im Kammermusiksaal, der genau diesen Tango immer zelebriert hat, hat dennoch Hoffnung geweckt – und große Erwartungen.

Vielleicht hätte es einen trotzdem stutzig machen sollen, dass Juan Jose Mosalini an diesem Abend in der Philharmonie in feinem Smoking auf die Bühne kam. Das er sein graues Haar säuberlich toupiert hatte, den Hals mit einer vornehm-roten Fliege verziert. Gar nicht wie ein tanguero sah er so aus, wie ein Tangospieler, sondern wie ein sehr ernsthafter Musiker, der sehr ernsthafte Musik zum Besten zu geben hat. Das hat er dann auch – mal im Verbund mit dem vorzüglichen Gitarristen Leonardo Sanchez, mal solo – getan mit seinem Bandoneon, jenem unförmigen schwarzen Kasten, dem man zuspricht, die Seele des Tangos zu sein.

Der 1943 in Buenos Aires geborene Mosalini ist ein Meister des Bandoneons. Er klopft und streichelt und schlägt es, immer noch. Und er lässt seine Finger behÄnde über die weißen Perlmuttknöpfe tanzen und reißt den Balg, die Lunge des Bandoneons, auseinander, um ihn sogleich wieder zusammenzupressen. Es ist eine große Kunst, wie Mosalini dem Kasten Töne entlockt; lange süßliche Töne und kurze spitze, die angenehm ins Ohr ihrer Zuhörer fließen.

Vielleicht ist genau das ein wenig das Problem an diesem Abend: dass er große Kunst bietet, von großen Künstlern dargeboten. Das machen Mosalini und Sanchez perfekt und schön, wirklich. Manchmal eben so perfekt, dass ihre Musik den Weg in den Bauch nicht mehr findet, sondern gleich ganz im Kopf hängen bleibt, weil sie, freilich in feinsten Nuancen nur, zu künstlerisch wirkt und zu stilisiert. Und keine Ahnung mehr lässt, wie es war, damals im Schmutz der Bordelle.

FRANK KETTERER