: „Wir stellen die falschen Fragen“
Für Bruce Sterling ist eine Stadt intelligenter als jeder Roboter und säurefestes Papier noch immer das sicherste Medium der Zukunft
Interview VERENA DAUERER
taz: Sie sammeln tote Medien. Glauben Sie nicht an unsere Mediengesellschft?
Bruce Sterling: Unsere Gesellschaft ist unfähig, über den Tod zu reden. Jede Gesellschaft hat ihre blinden Flecke. Die Viktorianer konnten nicht über Sex reden, während auf der Straße ganze Armeen von Prostituierten herumliefen. Es gab bei ihnen keinen Weg zu einen Diskurs dafür. Unsere Gesellschaft hat ein ziemliches Problem mit dem technischen Verschleiß, weil wir uns vor dem Sterben fürchten.
Der Künstler Mark Napier hat schon mal digitale Müllhalden auf seiner Website angelegt.
Napier gehört zu einer Art künstlerischen Gegenbewegung, die den Tod thematisiert. Das ist wie bei Damian Hirst mit den Eingeweiden in seinen sauberen Vitrinen, die wie anatomische Strukturen ausgestellt sind. Diese Kunst geht in eine gesunde Richtung, weil sie damit eine Rolle außerhalb der Unterhaltungsindustrie bekommt. Andere Institutionen können so etwas wie den Verschleiß nicht wirksam ansprechen. Es fällt uns schwer, einzusehen, dass auch Maschinen sterben. Der Verschleiß ist ein sehr reales Phänomen.
Aber digitale Daten verschleißen doch nicht?
Es gibt deutliche Nachteile der Digitalität. Ein kulturelles Artefakt wie der Minidisc-Player beispielsweise kann kaum digitale Daten aufnehmen. Und da er das nicht kann, machen sein Design, seine Ausstattung und sein Preis keinen Sinn mehr. Das Speichermedium für digitale Filmkunst ist immer noch der 35-mm-Film. Man kann nichts auf einer Festplatte speichern, weil dieses Medium nicht sicher ist. Wenn man die Minidisc zu Hause auf den PC kopieren will, muss das von Windows unterstützt werden. Sobald man aber kein Windows mehr benutzt, verliert man alle seine Audiodaten. Die Tapes gehören dann Bill Gates, und wenn der entscheidet, dass Windows das Minidisc-Format nicht mehr unterstützt, hat man Pech gehabt. Für ein Archiv sollte man alle digitalen Daten auf analoge Formate überspielen. Die sind natürlich auch nicht sicher, aber ungefährlicher als digitale. Am besten ist es immer noch, Dokumente auf säurefreies Papier zu schreiben. Eine CD-ROM zum Beispiel hält nicht lange, sie fällt auseinander. In jedem digitalen System gibt es mehrere Ebenen der Brüchigkeit: die Hardware, das Betriebssystem, die Anwendungen und die physischen Speichermedien. Ein Bit besteht aber nicht ohne Atome, und wie jedes Material verfällt es schließlich auf seine eigene Weise.
Man könnte auch sagen, dass digitale Daten Probleme mit ihrer Wanderung haben, weil man sie von einem Format zum nächsten und wieder zum nächsten und so weiter übertragen muss. Sie enden wohnsitzlos, weil ihnen die Beständigkeit fehlt. Wir sind nicht gut darin, dauerhafte Objekte herzustellen, weil unsere Kultur den Sinn für Beständigkeit verloren hat. Wir schätzen sie nicht mehr.
Entwickelt sich die Technik zu schnell für den Menschen?
Andersherum. Wenn sich die Technik zu schnell der Entwicklung der Menschen anpasst, überleben die Technikgenerationen die Menschen nicht. Ein Minidisc-Player mag sich schnell anpassen, aber man wird ihn in fünf Jahren nicht mehr brauchen. Irgendwann wurde er weggeworfen. So schnell sich seine Technik weiterentwickelt, so schnell veraltet sie auch
Mögen Sie das Design von Apple?
Nun, sie sind die Einzigen, die überhaupt eins haben. Wenn man von Microsoft verlangen würde, ihre Oberflächen benutzerfreundlicher zu gestalten, würden sie antworten, dass dann die Ingenieure nicht mehr die Kontrolle über alles hätten. Dieses Unternehmen versucht, eine Klasse an Ingenieuren zu privilegieren, anstatt den Gebrauch für die Masse voranzutreiben. Das ist bei den meisten technischen Geräten und ihrer Userelite übrigens ebenso. Die Leute kaufen diese Dinge nicht, weil sie so einzigartig und populär sind. Sie brauchen sie als barocke Symbole ihres Besitzes, deshalb haben die Geräte viel mehr Funktionalität als nötig. Aber auch bei schlechtem Design gibt es meistens einen rationalen Grund, der mit der Position des Käufers auf dem Markt zu tun hat, als Konsument oder Enduser. Der Begriff des Bedarfs ist ziemlich elastisch. Erst wenn der Gebrauch eines Geräts auf Dauer zu komplex ist, versagt es schließlich auch als Konsumprodukt. Bei dieser Art von technologischem Imperialismus exportiert der Designer nur seine Unfähigkeit auf den User.
Sie benutzen dafür auch den Ausdruck „Vaporware“.
Darunter versteht man ein Produkt, das für sich beansprucht, real zu werden. Besonders Microsoft ist ziemlich bekannt dafür. Vaporware wird angekündigt, aber es besteht keine wirkliche Absicht, sie zu produzieren. Science-Fiction-Literatur ist eigentlich eine Meditation über Vaporware wie Roboter und Androiden. Die sind auch nie real geworden. Es besteht heute weniger die Gefahr, in einer Bar auf einen Typ zu treffen, der ein Roboter ist, als auf einen Mörder. Es wird nie Roboter geben, und wenn, wären sie als technologische Artefakte nicht zu gebrauchen. Sie haben keinen Existenzgrund in einer kapitalistischen Gesellschaft, weil es für sie keine Nachfrage auf dem Markt gibt.
Trotzdem wird in den Labors immer noch am Konzept einer künstlichen Intelligenz gearbeitet. Müssen wir nicht doch damit rechnen, dass wir überflüssig werden, wie etwa Bill Joy voraussagt?
Alan Turings Ideen über künstliche Intelligenz werden nie verwirklicht werden. Die Leute wissen nicht mal, wie sie menschliche Intelligenz definieren sollen. Im Moment ist es sexy, zu erklären, dass die Menschen zehn oder zwölf verschiedene Arten von Intelligenz haben. Wenn man über künstliche Intelligenz redet, muss man sich fragen, welchen Aspekt der Intelligenz man verkünstlichen will. Ich bin nicht der Meinung von Roger Penrose, dass das anthropologisch unmöglich ist, aber diese Argumentation wird von Metaphysikern statt von Ingenieuren vorangetrieben. Eine künstliche Intelligenz wäre am ehesten mit einem System wie Berlin zu vergleichen: Eine Einheit in einer konstanten Entwicklung, die Gesetze, eine Regierung, eine Infrastruktur und eine Postleitzahl besitzt. Sie hat ihren regionalen Charakter als Stadt, in der viele wie Fassbinder ausschauen, aber niemand würde sagen, dass sie eine künstliche Intelligenz ist. Sie ist aber eine Einheit, die die Leute lieben und für die sie sterben würden. Man könnte in der Zukunft sicher auch mit ihr reden, und bekäme Antworten von einem Interface dieses Systems, das einen als einen seiner Bürger betrachtet. Man könnte intelligente Fragen stellen wie etwa: „Wo kann man hier gut essen?“ Diese Einheit wäre unter anderem auch ein Managementsystem, das Informationen wie einen Stromausfall in einem Bezirk sammelt, mit denen dann Entscheidungen getroffen werden. Dennoch würde man sie sicherlich nicht für eine Person halten und ihr Fragen über ihr Bewusstsein stellen. Sie wäre aber sehr wohl eine ungeheuer mächtige Einheit und eine soziale Situation. Denn allein ihre Nützlichkeit ist viel wert.
Deswegen ist auch das WWW wertvoll. Aber niemand würde fragen wollen: „Internet, wie fühlst du dich?“ Man verlangt eine Datei von ihm – und meistens antwortet es: „Error 404, file not found.“ Schon gar nicht würde man von ihm wissen wollen, ob es Wittgenstein liest. Es gibt keinen Grund, in diese philosophische Richtung zu gehen. Wer würde das Netz schon dafür bezahlen? Unsere Vorstellung einer künstlichen Intelligenz ist abgedroschen, wir stellen einfach die falschen Fragen.
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