piwik no script img

„Der Speer zielt auf Li Peng“

„In Wirklichkeit ist der Kampf gegen die Korruption ein Machtkampf“: Der KP-Kritiker und emeritierte Marxismusprofessor Shang Dewen über Li Pengs politische Zukunft und die starke Rolle Jiang Zemins

taz: Am Montag beginnt in Peking die Jahrestagung des Nationalen Volkskongresses. Auf der Tagesordnung des KP-Parlaments steht die Korruptionsbekämpfung ganz oben. Worum geht es wirklich?

Shang Dewen: Alles, was jetzt in der Partei vorgeht, ist oberflächlich betrachtet ein Kampf gegen die Korruption, aber in Wirklichkeit ein Machtkampf. Die Korruptionsbekämpfung richtet sich gegen bestimmte Personen. Damit bestimmt sie die Personalbesetzung der neuen Parteiführung, die auf dem nächsten Parteitag im Herbst 2002 antreten wird.

Wie hart ist der Machtkampf in der nach außen so geeint auftretenen Partei?

Sehr hart. Vieles spricht jetzt dafür, dass sich der Speer gegen Li Peng, die Nummer zwei der Partei, richtet. Zuerst die Hinrichtung von Cheng Kijie, dem ehemaligen Vizevorsitzenden des Volkskongresses und Vertrauten Lis. Dann die Verhaftungen im Energiesektor im Umkreis von Lis Kindern. Dazu die im Westen veröffentlichte Tiananmen-Akte, die Li am meisten schaden könnte – das Netz um Li zieht sich zusammen.

Zieht die Partei einen Vater für die Machenschaften seiner Kinder grundsätzlich zur Verantwortung?

Der Vater ist davon in jedem Fall betroffen. Ob er dann zur Verantwortung gezogen wird, hängt davon ab, ob man auch bei ihm Probleme entdeckt.

Wie einflussreich ist der Hardliner Li Peng heute noch?

Der konservative Parteiflügel hat die größten Nachwuchsprobleme. Er kann ohne Li bestehen, aber nur unter schwierigen Umständen.

Die im Westen veröffentlichte Tiananmen-Akte dokumentiert die Spaltung der Partei während der Studentenrevolte im Frühjahr 1989 – ohne dass die Echtheit der Dokumente garantiert wäre. Haben diese parteiinternen Gegensätze bis heute noch Bestand?

Sie unterscheiden sich von der damaligen Zeit nur hinsichtlich des Streitgegenstands. Heute geht es um Chinas geplanten Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO). Die Konservativen sind gegen den Beitritt, weil sie sich vor der Kolonialisierung Chinas durch multinationale Konzerne fürchten. Die Reformer sehen solche Nachteile zwar auch, aber für sie wiegen die Vorteile der WTO für das Wirtschaftswachstum insgesamt schwerer. Zwischen den gleichen Parteiflügeln gab es vor zwölf Jahren die Meinungsverschiedenheiten über politische Reformen.

Wo steht Parteichef Jiang Zemin in der Debatte?

Wenn man das wüsste, würde es ihm nur schaden. Es gibt Gerüchte, die besagen, dass Jiang Li Peng zum Rücktritt im Herbst 2002 überredet habe. Als Gegenleistung werde man weder Li noch seinen Angehörigen den Prozess machen. Da der dritte Mann der Partei, Premier Zhu Rongji, nach 2002 sowieso nicht mehr regieren will, bliebe damit Jiang von der jetzt im Amt befindlichen dritten Führungsgeneration [nach der ersten Generation unter Mao Tse-tung und der zweiten Generation unter Deng Xiaoping, d. R.] als Einziger konkurrenzlos zurück.

Wird nicht auch Jiang 2002 seinen Sitz im Politbüro aufgeben?

Das ist richtig. Aber er wird als Vorsitzender der Militärkommission im Amt bleiben und als Einziger der jetzigen Führung nichts von seiner Macht einbüßen. Jiang folgt damit dem Beispiel Deng Xiaopings. Der hatte noch 1989 das Recht, den Generalsekretär der Partei abzusetzen, einen neuen zu bestimmen und die Studentenbewegung niederschlagen zu lassen. Das wiederum hatte Deng von Mao gelernt. Hinter jedem dieser Führungswechsel verbirgt sich eine vertane Gelegenheit zu politischen Reformen.

Jiangs schwer bestimmbare Position im Flügelstreit lässt viele daran glauben, dass es ohne Li Peng an seiner Seite schnellere Reformen geben könnte.

Jiang weiß zweifellos, was zu tun wäre. Aber noch ist nichts passiert, was auf Schritte in eine neue Richtung deutet. In der Demokratiefrage gibt es bisher keinen Fortschritt. Da bleibt die Partei immer noch beim Grundgedanken der Diktatur. Interview: GEORG BLUME

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen