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Wenn alles besser wird

Geklärte und ungeklärte Phänomene: Der mittlerweile 111. Band der Reihe „Was ist was“ beschäftigt sich zeitgemäß mit der Genetik und stellt diese als weitgehend ideologiefreies Forschungsgebiet dar

von KOLJA MENSING

Die Erwartungen waren groß. Die Erdkugel war gerade vom Lebensraum zur Raketenabschussrampe geworden, der Mensch hatte sich in den Weltraum aufgemacht, und alles, was er dort nicht finden würde, würde er sich mit den Errungenschaften des wissenschaftlichen Fortschritts eben selbst erschaffen. Als Anfang der Sechzigerjahre die ersten Bände einer neuen Sachbuchreihe für Kinder und Jugendliche erschienen, waren die Themen darum klar: Band 1 hieß wie zum Abschied schlicht „Unsere Erde“, Band 2 war „Der Mensch“, und Band 3 und 4 befassten sich mit den hoffnungsvollen Themen „Atomenergie“ und „Chemie“.

1961 startete der Tessloff Verlag die Reihe „Was ist was“. Über hundert Bände mit dem rotblauen Logo oben links in der Ecke sind in den letzten vierzig Jahren zu naturwissenschaftlichen, technischen und historischen Themen erschienen. Und um die Welt vor den Augen der jungen Leserinnen und Leser nicht vollständig zu entzaubern, widmete man sich didaktisch klug rätselhaften Dingen wie „versunkenen Städten“ oder vor einigen Jahren ganz allgemein „geklärten und ungeklärten Phänomenen“.

Inzwischen ist man im Internet angekommen. Wasistwas.de ist eine Online-Zeitschrift für Kinder und Jugendliche, in denen die bekannten Themen aktuell aufbereitet werden. Auch hier wird der Zeitpfeil gerade gehalten. Auf einer chronologischen Leiste kann man sich vom Urmenschen bis zur Mondlandung und vom Brachiosaurus bis zur Entdeckung Amerikas klicken: Geschichte ist, wenn die Dinge nacheinander geschehen.

Auch die Zeittafel am Ende des gerade erschienenen Was-ist-was-Bandes über „Die Gene“ ist übersichtlich gehalten. 1865 erkennt „Gregor Mendel die Gesetzmäßigkeiten der Vererbung“, 1961 wird „das erste Code-Wort der genetischen Schrift entschlüsselt“, und 2003, so weit hat man die Entwicklung im Blick, wird die Entschlüsselung dann „voraussichtlich abgeschlossen sein“. Über der Tafel sind Fotos zu sehen, von denen das erste den Mönch Mendel zeigt und das letzte das Schaf Dolly.

„Die Gene“ ist der 111. Was-ist-was-Band. Er ist von dem gleichen, vorsichtig vernunftgebundenen Fortschrittsglauben beseelt, der die Reihe von Anfang an ausmachte. Genetik wird genauso wie einst Atomphysik und Chemie als weitgehend ideologiefreies Forschungsgebiet dargestellt, dass dem Menschen zugute kommt. Fortschritt ist, wenn einfach alles besser wird.

Die Erklärungen im Was-ist-was-Band werden zwar von einem leicht unzeitgemäßen Wissenschaftsbild getragen, haben allerdings einen Vorteil: Man versteht sie. Das ist nicht selbstverständlich. Es sind ja doch etwas kompliziertere Zusammenhänge, die sich hinter Schlagworten wie „Proteinsynthese“ oder „Gen-Farming“ verbergen, aber seit die Genetik im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses steht, sind wissenschaftsjournalistische Standards eher gesunken: Der Zugang muss in diesen Tagen vor allem kontrovers sein.

Die Art der Aufbereitung des Themas Genetik ist heute vor allem am gesellschaftlichen Debattenbedarf orientiert. Es werden nicht die Erkenntnisse vermittelt, auf die man sich einigen kann, sondern Fragen aufgeworfen, über die man sich streiten möchte. Da ist es schon lustig, dass der Was-ist-was-Band die Fragestellungen, an denen sich die Medien in Titelgeschichten, Features und Feuilletons in den letzten Monaten abgearbeitet haben, auf den letzten eineinhalb Seiten in drei knappen, aber erschöpfenden Absätzen behandelt: „Was wird demnächst möglich werden?“, „Was ist besonders umstritten?“ und „Was ist besonders wichtig?“. Die Antworten auf diese Fragen sind übrigens nicht besonders aufregend. Aber das wissen nur Was-ist-was-Leser.

„Die Gene“ (Was ist was, Band 111). Tessloff Verlag, Nürnberg 2001. 48 Seiten, 16,80 DM

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