: Stille Wasser sind recht laut
Leise währt am längsten: Mit „Quiet is the New Loud“ haben die Kings of Convenience die Devise für das Comeback des Akustik-Folks ausgegeben. Freudig inszeniert sich das Duo als „Norwegens Antwort auf Simon & Garfunkel“ – und lässt hinterm neuen Sound of Silence Kalkül durchschimmern
von ARNO FRANK
Ach Gottchen, zwei Jungs mit akustischen Gitarren und flockigen Melodien. Seit mehr als 40 Jahren ist das ein so klassisches Pop-Phänomen, dass es schon längst zur Karikatur geronnen scheint. Nichts Neues, alter Hut, der Zug ist längst abgefahren. Manchmal aber rollt dieser Zug so langsam durch abgelegene Landschaften, dass man mühelos Schritt halten, dass man mühelos aufspringen kann. In Skandinavien etwa, wo angloamerikanische Popgeschichte offenbar naiv adaptiert werden kann, ohne sich auf Definitionsdebatten einlassen zu müssen. Da genügt bereits ein Titel wie „Quiet is the New Loud“, und schwupps, sind die blassen Jungs mit den akustischen Gitarren „Norwegens Antwort auf Simon & Garfunkel“ – ein Urteil, wie es vernichtender kaum sein könnte.
Mit dieser Formel aber preist die Plattenfirma die Kings of Convenience an, die vorneweg auf der Welle des so genannten New Acoustic Movement surfen: akustische Gitarren in kreisender Zwiesprache, zweistimmiger Gesang, weiche Ecken und runde Melodien. Eine Musik, die so selbstverständlich auf abgegrasten Weiden wildert, dass sie Vergleiche abkönnen muss: als hätte Nick Drake überlebt und sein Comeback von Rick Rubin produzieren lassen. Als hätte Billy Bragg nie von Punk und Abtreibungen gehört. Als wäre Elliott Smith bei Belle & Sebastian eingestiegen. Neu ist das alles also nicht. Aber es ist jetzt.
Das Cover der Platte ist ebenso programmatisch wie der Titel: Es zeigt Eirik Glambek Bøe und Erlend Øye vor einer Holzhütte, hingelagert auf einem Felsen, in Gesellschaft einer Frau. So erzählt auch die Musik, reduziert auf das rustikal Notwendigste, mit leiser Stimme vom Kommen und Gehen der, tja, Liebe. Die lässt sich bekanntlich von hymnisch aufbrausendem Rock ebenso besingen, wie sie sich mit sarkastischem Pop verfluchen lässt. Beschworen werden kann sie aber selten so eindringlich wie in fragilen Folksongs, wo selbst die alltäglichste Frage so formuliert werden darf, dass sich das Nachdenken darüber lohnt: „What is the immaterial substance that envelopes two / That one perceives as hunger and the other as food?“ Je beredter die Musik, desto schweigsamer die Musiker. Kennen gelernt haben sie sich schon als Kinder. Eines der ersten Stücke, das sie gemeinsam aufgenommen haben, war „The Eternal“ von Joy Division, und von allen Zehn Geboten brechen sie am liebsten „Du sollst nicht stehlen“. Ansonsten genießen sie gerade die Aufmerksamkeit der britischen Musikszene, gehen mit Badly Drawn Boy trinken oder jammen mit The Magnetic Fields – keine sichtbaren Narben, keine überwundene Drogensucht, nichts, womit man bei „Top of the Pops“ reüssieren oder Journalisten in Atem halten könnte. So kehrt sich vorgebliche Verweigerung in Methode, Bescheidenheit in Eitelkeit, Stille in Lärm.
Es ist die geradezu auffällig zur Schau getragene Unauffälligkeit der Protagonisten, die den Blick immer wieder auf das angeblich Eigentliche, auf die Musik zurückwirft: Minimalistisch instrumentierte und sparsam arrangierte Kompositionen nämlich, mit verhuschten Melodien, präzisen Akzenten, getupftem Piano, vorgetragen in unaufgeregt traurigem Timbre – aber blitzsauber produziert, um es besser zu Markte tragen zu können. Ein aufgewärmtes Mahl zwar, aber schmackhaft, da es ohne genialischen Gestus serviert wird.
Nichts Kapriziöses, keine Kapriolen. Aber Harmonien und Texte zuhauf, die wie süße Seufzer im Ohr hängen bleiben. Wer nicht wenigstens ein kleines bisschen verliebt ist, dem wird so viel sanfte Schwermut rasch lästig werden. Und er wird sich wünschen, er wäre es.
Kings of Convenience: „Quiet is the New Loud“ (Labels/Virgin)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen