: Nach dem Event ist vor dem Event
In den Siebzigerjahren war der Bau einer Autohochstraße mitten in Hannover noch ein wirkliches Ereignis. Im vergangenen Jahr traf sich die ganze Welt in Hannover zur Expo. Jetzt hat die Messestadt doppelt so viele Betten zu vermieten wie noch vor zehn Jahren. Doch wie lassen die sich in Nach-Weltausstellungs-Zeiten füllen?
von PETRA WELZEL
Wäre es eigentlich ein Event, wenn „Liebe“, Hannovers älteste Parfümerie, ein Vierteljahr nach der Expo seine neuen Badezimmerkollektionen vorstellt und dafür die Maschseekönigin oder besser noch „Big Brother“-Sabrina in einen Container am Kröpcke zum Anbaden einlädt? Sabrina war schon einmal in der Stadt, zu Weihnachten, und verteilte auf einer Betriebsfeier als vollbusige Weihnachtsfrau Spezereien an die Mitarbeiter des Unternehmens. Ein internes Event also ohne allgemeine Auswirkungen auf die Stadt, wie sie die Weltausstellung im letzten Jahr noch hatte. Das jedenfalls sind so Assoziationen, die mir kommen, während ich vor „Liebe“ stehe und das kuschelig drapierte Frottee im Schaufenster betrachte.
Es ist Sonnabend. Die Stadt ist gefüllt wie andere Großstädte mittlerer Größe an Samstagen auch. In den Herrenhäuser Gärten, Hannovers größter historischer Parkanlage, herrscht reger Joggerverkehr. Der internationale Stadtmarathon Anfang April steht vor der Tür. Das erste Licht streift mit Nebelschwaden die Eiseskälte in der Luft. Die Enten im Graben um den Großen Garten begrüßen munter schnatternd jeden Läufer. Der Mond steht noch am Himmel, als eine Jaffasonne über den kahlen Baumwipfeln aufsteigt. Normale wochenendliche Betriebsamkeit allerorts.
Als ich ein Kind war, sind wir sommers manchmal mit der Klasse in die Herrenhäuser Gärten gefahren, durch das Labyrinth getobt und anschließend nackig unter die riesige Fontäne gehüpft. Das war ein Ereignis. Auch als Hannover seine erste innerstädtische Hochstraße Anfang der Siebzigerjahre am Aegidientorplatz bekam. Stolz verstaute unser Vater die Familie eines Sonnabends im Auto und fuhr die gebogene Trasse zum Rathaus ein paarmal rauf und runter. Mir wurde damals ganz mulmig im Magen. Mit der Expo im letzten Jahr ist die Hochstraße einem neuen Verkehrswegeplan zum Opfer gefallen.
Von der Opernstraße her machen sich die ersten Einkäufer vom Zentrum aus auf den Heimweg. Ein elegantes Paar schlendert Händchen haltend, sie eine Rose, er ein Glas Sekt in der freien Hand, nach Hause. Hannover ist schick geworden, übersichtlich, und die HannoveranerInnen nehmen ihre Stadt flanierend in Besitz. Sie hat jetzt nämlich auch wetterfeste Einkaufspassagen mit Edelboutiquen, wahlweise für Klamotten oder Käse, wie es sie zuvor in Norddeutschland nur in Hamburg gab. Luisenhof heißt eine, in Erinnerung an das Welfengeschlecht. Schräg gegenüber werben die Bahnhofspassagen mit „Erlebniseinkauf“, Erlebnisgastronomie eingeschlossen. Alles sehr schön, alles sehr teuer. Die Investitionen der letzten Jahre fordern ihren Preis. Billig ist eine Stadt mit Weltformat nicht zu haben – auch wenn sich in Hannover seit Monaten die Welt schon nicht mehr trifft.
Dabei könnte alles noch einmal von vorne losgehen. Auf dem Ostgelände der Expo sieht es dieser Tage aus wie vier Wochen vor Beginn der Weltausstellung: Bauzäune, Bauwagen und halb fertige, beziehungsweise halb abgerissene Pavillons. Die Gondeln, mit denen man über das Expo-Gelände schweben konnte, scheinen wie nach einem Seilbahnunglück ihren Betrieb nur vorläufig eingestellt zu haben. Alle Gerüste und Plattformen stehen noch. Nur Seile und eben die Gondeln fehlen. Selbst zur gelben Postbox, die schon im Vorfeld der Expo Tausende von Neugierigen durch den Panoramablick schleuste, gibt es keinen Zutritt mehr. Die Bäume des niederländischen Hausbiotops sind entlaubt und warten auf Frühlingsboten. Die ungarische Holzarche thront wie ein Fels in der Kältebrandung, während der Schweizer Stäbchenkasten behutsam wie in einem Mikadospiel auseinandergenommen wird. Auf dem Zinnenturm der Festung der Vereinigten Arabischen Emirate weht noch die Landesfahne im Wind. Aber die Araber sind längst ausgezogen.
Die Tram aus der Stadt spuckt vereinzelte Spaziergänger aus, die noch bewahren möchten, was nicht bewahrt werden kann. Das große Event vom letzten Jahr ist vorbei, der Weltmittelpunkt nicht mehr Hannover. Außer in ihrer Erinnerung. Ein sinnliches Strahlen steckt in jedem Gesicht, man grüßt und lächelt sich zu – „willkommen im Klub“ soll es bedeuten.
„Wenn alles abgetragen würde, wäre natürlich der Reiz weg“, sagt ein paar Tage drauf Petra Börger vom Tourismus Verband Hannover. Auch sie gerät heute noch ins Schwärmen, wenn sie an die langen Abende auf der Expo mit Konzerten und Kino denkt. Froh ist sie, dass bisher der Erhalt des chinesischen, deutschen, polnischen, schwedischen, finnischen und holländischen Pavillons gesichert ist. Dass Letzterer zu hoch ist und deshalb gestutzt werden soll, tut ein wenig weh: „Da müssen wohl die Windräder dran glauben.“
Was allerdings weit weniger tragisch wäre, als wenn von den zur Expo entstandenen Hotels mit insgesamt 13.800 Betten (eine Verdoppelung innerhalb der letzten zehn Jahre) etliche wieder die Segel streichen müssten. Schon im vergangenen Jahr hat der Tourismusverband deshalb einen „Conference Guide“ mit 31 Partnern herausgegeben. In diesem Jahr sind es schon 41 Hotels mit High-Tech-Tagungs- und Konferenzsälen. Denn dahin soll die Reise nach Hannover zukünftig gehen.
„Es macht ja heute schon niemand mehr drei Wochen Urlaub an der Nordsee und in Hannover natürlich erst recht nicht“, erläutert Petra Börger die Idee vom Wissenschafts- und Tagungstourismus. Hannover sei eine Messestadt, und das solle sie auch bleiben. Neue Messen wolle man akquirieren und sich als internationaler Konferenzort etablieren. Ein ehrgeiziges Ziel – bei nur zwanzig Prozent Auslastung 1999 im Congress Centrum Hannover an der Eilenriede, einem der größten Veranstaltungszentren dieser Art in Deutschland.
An den Umzugskartons in Petra Börgers frisch bezogenem neuem Büro lehnen zwei ältere gerahmte Plakate: „Niedersächsische Lebensart vor den Toren Hannovers: Mittelalterlicher Schlemmerspaß in historischen Restaurants auf dem Lande“ verheißt das eine, das andere: „Seen, Berge, Heide . . . direkt vor den Toren Hannovers. Niedersachsens größter Binnensee mit frischer Brise: Das Steinhuder Meer“. Wir sind dort früher an manchem Wochenende zum Aalessen hingefahren. Aber ein „Publikumsbringer“ ist so etwas heute natürlich nicht mehr, stellt Petra Börger fest. „Eventorientiert“ würde man Hannover jetzt vermarkten. Etwa mit der Eishockey-WM Ende April bis Mitte Mai. Oder mit Tom Jones’ Auftritt in der Niedersachsenhalle im März. Auch U2 will eines seiner wenigen Deutschlandkonzerte in Hannover geben. Und von Mai bis September treten wieder internationale Feuerwerker in den jährlichen Wettstreit um die fantasievollsten Illuminationen am Himmel über Hannover. Alles Events, alles Publikumsbringer, ist sich Petra Börger sicher.
Als Kind zog es mich immer wieder zur Moorleiche ins Landesmuseum, weil bei der immer noch Haare und Nägel wachsen. Und zu den Nanas von Niki de Saint Phalle ans Leineufer. Das war ein echtes Event Anfang der Siebziger, und ein Skandal internationaler Reichweite, als die quietschbunten und unförmigen, aber den Händen schmeichelnden Figuren damals aufgestellt wurden. Wochenlang trafen sich Befürworter und Gegner am Flussufer, um die Frage nach Obszönität und Originalität der Puppen zu debattieren. Wir Kinder fanden, dass das prima Turngeräte waren. Ende vergangenen Jahres hat die Künstlerin dem Sprengel Museum am Maschsee einen Großteil ihres Werks vermacht, und HannoveranerInnen und auswärtige Besucher rennen ihrer Ausstellung seitdem die Türen ein. Niemand nimmt mehr Anstoß an ihren beinahe martialischen Environments aus den Sechzigern, die mit Stacheldraht und Plastepüppchen um die Themen Frau, Frausein und der Fetischisierung von Frauen kreisen. Kleine Mädchen springen in Malerhemden und mit Farbtöpfen durch die Säle und formen in Workshops ihre ersten eigenen Nanas. Nanu, wenn das kein Event ist!
Petra Welzel, 36, freie Journalistin, ist in Hannover geboren und aufgewachsen. Seit vierzehn Jahren lebt sie in Berlin
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