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Spieglein, Spieglein in der Schlucht

Das Deserteur-Denkmal in der Murellenschlucht wird nach einem Entwurf der Künstlerin Patricia Pisani gebaut: Sie stellt rund 100 Verkehrsspiegel als Sinnbilder für Gefahrenzonen in den Wald. Früheres Gedenkkonzept fiel bei der Jury hochkant durch

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

In den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs starben auf dem Wehrmachtsgelände in Berlin-Ruhleben 232 deutsche Soldaten, die vom „Endsieg“ genug hatten. Die Fahnenflüchtigen, Deserteure und Verweigerer unterschiedlicher Dienstgrade wurden nach ihrer Verhaftung standrechtlich verurteilt und in der „Murellenschlucht“ hinter der Waldbühne erschossen. Die NS-Urteile gegen die so genannten Wehrkraftzersetzer blieben bis 1997 rechtskräftig. 1998 sprach der Deutsche Bundestag den Opfern „Achtung und Mitgefühl“ aus und hob per Gesetz die rechtsstaaatswidrigen Entscheidungen der „NS-Terrorjustiz“ auf.

56 Jahre nach ihrer Ermordung kann endlich am Ort der Hinrichtung ein Mahnmal für die Opfer der Militärjustiz entstehen. Nach einem zweistufigen Wettbewerb, den die Senatsbauverwaltung im November 2000 ausgelobt hatte, entschied sich gestern die Jury für einen recht unspektakulären Entwurf. Das „Denkzeichen zur Erinnerung an die Ermoderten der NS-Militärjustiz am Murellenberg“ wird nach dem Plänen der Berliner Künstlerin Patricia Pisani realisiert werden.

Pisani platziert rund 100 Verkehrsspiegel entlang dem Weg von der Glockenturmstraße bis zur einstigen Hinrichtungsstätte im Murellenschluchtwald hinter der Waldbühne. Auf einigen Spiegeln sollen Informationen über die Historie des Orts oder die Geschichte der Reichskriegsgerichte eingraviert werden. Die Bedeutung der Spiegel, so Pisani, ziele auf den Zusammenhang mit ihrer Funktion als „Gefahrenstellen im Straßenverkehr“. Wie die Verkehrszeichen sollen sie sinnbildlich vor einer spezifischen Situation „warnen“, die außerhalb des Gesichtsfeldes liegt und damit visuell auf die verdrängten und gefährlichen Geschehnisse der NS-Justiz verweisen.

Bausenator Peter Strieder (SPD) lobte gestern die Entscheidung der Jury und zeigte sich überzeugt, dass mit dem ausgewählten Entwurf „ein eindrucksvolles Denkzeichen entstehen wird“. Auf künstlerische Weise könne damit „ein Beitrag zur Aufarbeitung der Unrechtsurteile der NS-Militärjustiz“ geleistet werden. Noch in diesem Jahr, so Strieder, soll der rund 200.000 Mark teure Entwurf mit Mitteln der Bauverwaltung fertig gestellt werden. Nicht platzieren konnten sich in den Wettbewerb so renommierte Künstler wie Horst Hoheisel (Kassel) oder Esther Shalev-Gerz und Wolfgang Göschel (beide Berlin). Göschel, der 1997 wesentlich an der Initiative zur Errichtung eines „Deserteur-Denkmals“ beteiligt war, fiel bei der Jury durch.

Dem Wettbewerbsbeschluss war eine siebenjährige Debatte vorausgegangen, in der es zu Streitereien zwischen dem Bezirk Charlottenburg, den Initatoren sowie dem Land gekommen war. Das Gelände, das zum Territorium der britischen Allierten gehörte, wird seit deren Abzug von der Berliner Polizei als Übungsplatz genutzt. Der authentische Hinrichtungsort liegt innerhalb des 130 Hektar großen Polizeiareals, von dem die Polizei bis dato keine Abstriche macht.

Alle Versuche des Bezirks und der Evangelischen Synode Charlottenburg, den Ort zugänglich zu machen, scheiterten, weil das Land die Polizei nicht ein paar Meter zurückziehen wollte. Auch jetzt ist der Hinrichtungsplatz nicht erreichbar und der Weg dorthin von einem Zaun abgetrennt. Außerdem war bis Mitte der 90er-Jahre unklar, ob eine Gedenkstätte für Deserteure überhaupt eine Chance auf Akzeptanz und Realisierung hatte. Pfarrer Manfred Engelbrecht, Mitinitatior des kirchlichen Arbeitskreises zur Errichtung des Denkmals, ist darum „froh, dass trotz des etwas schlichten Entwurfs die Gedenkstätte gebaut werden kann“.

Ein bitterer Beigeschmack bleibt trotz der Entscheidung über das Projekt. Hatten doch die Charlottenburger Bezirksverordnetenversammlung (BVV), der dortige Ausschuss für Kultur und die Evangelische Synode sich auf den Entwurf Göschels bereits geeinigt. 1997 war von Göschel gemeinsam mit Joachim von Rosenberg und Norbert Burkert, die bereits die „Spiegelwand“ zur Erinnerung an die Judenverfolgung in Steglitz realisierten, eine Gestaltung vorgelegt worden. Dieser Entwurf, so die frühere Bezirksbürgermeisterin Monika Wissel (SPD), „fand im Ausschuss für Kultur breite Zustimmung“. Auch die BVV Charlottenburg habe die Realisierung „einstimmig“ befürwortet, konnte aber für die Finanzierung nicht aufkommen. Bausenator Strieder war zwar bereit, Geld für das Denkmal zur Verfügung zu stellen. Der Sieger sollte aber – wie jetzt geschehen – in einem Wettbewerb ermittelt werden, in dem Göschel einer unter vielen war.

Dass der Unterlegene nun etwas schmollt, ist evident, entwarf er doch ein „öffentliches Denkmal“ am Eingang zur Waldbühne. An drei sechs Meter hohen Stahlträgern, die drei stilisierte Hinrichtungspfähle symbolisieren, waren je eine Edelstahltafel mit dem großformatigen Porträt eines Erschossenen und dessen Biografie vorgesehen. Göschels Konzept zielte neben der Erinnerung an die Opfer zugleich auf den Kontrast zur Nazi-Architektur.

Das NS-Mahnmal sollte, so der Künstler, „direkt neben den monumentalen Eingangsreliefs der Nazi-Zeit“ an der Waldbühne – die einen Schwert- und Fackelträger darstellen – errichtet werden. Außerdem sollte sich die gegenüber liegende Seite des Glockenturms in den metallenen Tafeln spiegeln. Betrachter, Opfer, Geschichte und Umfeld würden dergestalt eine Einheit bilden. Den Hauptunterschied zu den anderen Entwürfen sieht Göschel aber in einer Gedenkstätte, die „nicht im Wald versteckt ist“, sondern am Eingang zur Waldbühne „öffentliche Aufmerksamkeit“ provoziere.

Während Engelbrecht jetzt keinen Anlass mehr sieht, deshalb die Diskussion über das umstrittene Projekt „noch einmal zu beginnen“, findet die kulturpolitische Sprecherin der Grünen, Alice Ströver, einen konfrontativen Umgang mit dem heiklen Thema deutscher Militärvergangenheit besser.

„Ein Projekt, das niemand findet, wäre schlecht“, sagte Ströver. Ob darüber, wenn die Entwürfe einmal ausgestellt werden, „noch einmal zu reden wäre“, ließ Ströver offen.

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