piwik no script img

Gut drauf in Pisselberg

■ Castor-GegnerInnen legen sich trotz Absperrung drei Mal ins gemachte „Gleisbett“

„Jetzt hier rauf!“ ruft eine Stimme im Dunkeln. Alle laufen los, stürzen durch die Büsche, den Bahndamm hinauf. „Salat! Hawaii! Massage!“ Bezugsgruppennamen schallen durchs Unterholz. Von rechts kommen PolizistInnen angerannt. Zu spät: Schon sind die Menschen zwischen den Gleisen, haken sich unter, breiten Isomatten und Schlafsäcke aus, jubeln: „Wir sind drauf!“

Es ist Samstagabend, halb sieben, in Pisselberg, einem Dorf bei Dannenberg. Rund 250 AtomkraftgegnerInnen sind gekommen, um sich auf den Castor-Transport Ende März vorzubereiten: Mit einer „Nacht im Gleisbett“, organisiert von der gewaltfreien Kam-pagne „X-1000mal-quer“. Polizei und Bundesgrenzschutz (BGS) wollten das verhindern – auf der Strecke führen die ganze Nacht Kontroll- und Bauzüge. Der Bahnübergang ist seit dem Nachmittag abgesperrt.

Die AktivistInnen aber sind im Schutze der Dämmerung schnell zu einer Stelle 200 Meter weiter gelaufen. Jetzt sitzen etwa hundert Frauen, Männer und auch zwei Kinder zwischen den Schienen und amüsieren sich. Eine Gitarre wird ausgepackt: „Marmor, Stein und Eisen bricht, aber unser Widerstand nicht.“ Ein Didgeridoo brummt. Jemand liest Geschichten vor. Der BGS-Einsatzleiter ist hörbar genervt: „Ich fordere sie auf, die Gleise zu verlassen.“ Darauf ein Akti-vist: „Wir sind doch nur müde!“ Juchzen ringsum, die Menschen beginnen einen Kanon: „Trommle mein Herz für das Leben...“ Schneeflocken glitzern im Licht der Fernsehkameras. Der Einsatzleiter stellt eine Ordnungswidrigkeit fest.

Der BGS beginnt mit der Räumung. Wer nicht aufsteht – und das tut kaum eineR – wird weggetragen, den Bahndamm hinunter. Die Beamten keuchen: Viele AktivistInnen haben einen schweren Rucksack auf dem Rücken. Bis das Gleisbett leer ist, dauert es fast eine Stunde.

Jetzt hat man sich ein Abendessen verdient: Vor dem Küchenbauwagen in Pisselberg dampfen zwei Töpfe mit Bohnen- und Kartoffelsuppe. Ein Feuerchen wird angezündet, im Badeofen köchelt heißes Abwaschwasser. Die Suppe wärmt den Körper, der kleine Sieg die Seele. Aber die Pause dauert nicht lange: „Wenn wir noch in die Abendnachrichten kommen wollen, müssen wir bald wieder los“, spricht sich herum. Das ist ein Argument. Eine Gruppe soll den BGS vom Bahnübergang weglocken, eine andere will versuchen, direkt in Pisselberg noch einmal auf die Schienen zu gelangen. Der Trick klappt: Fünf Minuten später sitzen zwei Gruppen à 20 Personen wieder auf den Gleisen.

Diesmal fackeln die BGSler nicht lange, reißen die Menschen sofort hoch, brüllen, zerren. Einige AktivistInnen werden über den Bahndamm geschleift, andere landen bäuchlings auf der Erde, die Hände auf dem Rücken gefesselt. Dazwischen die so genannten „Konfliktmanager“ der Polizei, in ihren rot-schwarzen Jacken. Bis Mitternacht werden 38 AktivistInnen in Polizeigewahrsam genommen.

Aber kaum hat die Polizei sie nach Lüchow transportiert, steht schon die nächste Gruppe auf der Straße vor dem Bahnübergang: „Wenn wir nicht auf die Gleise kommen, übernachten wir eben hier!“ Schnell wird eine Versammlung angemeldet – für die ganze Nacht. Vor der Polizeikette breitet sich ein Lotterlager aus, 30 Schlafsäcke quer durcheinander, dazwischen Rucksäcke, Strohballen. Der Wendländer „Clangfarben“-Chor singt Spirituals, jemand verteilt Kuscheltiere, ein anderer Wärmflaschen. Im Flutlicht des Polizeischeinwerfers betten die KämpferInnen ihre müden Häupter.

Am nächsten Morgen weht ein eisiger Wind über den Damm. Gegen sieben stecken die ersten ihre Nasen aus dem Schlafsack – und haben gleich Mikrofone davor. „Nett wars“, erzählt Anja aus Carvitz, „bisschen kalt. Aber ich weiß jetzt, dass es geht, hier zu übernachten.“ Für die 16-Jährige wird es der erste Castor-Transport sein: 1997 hatte ihre Mutter sie noch nicht mitgelassen.

Im Küchenbauwagen ist schon der Kaffee fertig, Kuchenplatten werden angeschnitten. Zum Abschluss bilden die TeilnehmerInnen einen „Energiekreis“ – auf der Wiese vor dem Bahndamm. Oben läuft schnell wieder der BGS auf.

Heike Dierbach

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen