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Wohnzimmer, Adieu

Erbitterte Wohnkämpfe um die gute Stube sollten Familien besser vermeiden, rät die die Verbraucherzentrale. Gefragt: Der Allraum  ■ von Kaija Kutter

In der Ecke steht eine Yucca-Palme mit kleinen roten Hydrokultur-Kügelchen im Topf. Daneben ein wackliges CD-Gestell, das im Stil zum Regal der Hifi-Anlage passt. „Na-hein! Nicht da hochklettern!“, ruft die Mutter ihrem einjährigen Sohn zu, stellt genervt den Früchtetee ab und schnappt sich das Kerlchen. „Das ist unsere 'Nein-Ecke'“, erklärt sie der Besucherin stolz. „Paulchen soll da nicht ran, und das lernt er auch noch.“ „Ja, klar“, lächelt die Besucherin, steht ebenfalls auf und schnappt sich die kleine Tochter, die gerade an den Hydrokultur-Kügelchen lutscht. Stressfreies Tee-Trinken unter Müttern ist so nicht wirklich möglich. Stressfreies Wohnen eigentlich auch nicht.

„In keinem anderen Raum werden erbittertere Wohnkämpfe ausgetragen als im Wohnzimmer“, heißt es in einer Broschüre über „Wohnen mit Kindern“ der Hamburger Verbraucherzentrale. Kinder finden Sofas einfach prima zum Toben, bauen Höhlen aus den Pols-tern und können es natürlich nicht lassen, verbotene Schränke zu öffnen. Die Eltern verwirklichen in diesem Zimmer, das fast immer das größte ist, ihre Ideen vom „schönen Wohnen“ aus kinderfreien Zeiten und haben zudem den berechtigten Wunsch nach einem „chaosfreien Raum“.

Die Autorin Jutta Velte rät zum radikalen Umdenken. Statt Wohnzimmer mit „Nein-Ecken“ soll es „Allräume“ für alle geben. Denn Eltern müssen für sich ja nicht das größte Zimmer haben. Sitzecke, Fernseher und Bücherwand kommen auch in kleineren unter. Kleine Kinder hingegen, so ihr Appell, brauchen viel Platz. Und dies möglichst in der Nähe der Eltern. Fazit: aus dem Wohnzimmer oder - falls vorhanden - der großen Diele mache man einen „Allraum“, in dem gegessen und mit der gesamten Familie gelebt wird. Als Rückzugsraum für Erwachsene kann das Schlafzimmer dienen, das ohnehin meist das zweitgrößte ist. Große Schrankwand raus, kleinere Möbel rein, schon ist es gemütlicher und wird nicht mehr nur zum Schlafen benutzt.

Architekten der 50er und 60er Jahre nahmen auf die Bedürfnisse von Kindern keine Rücksicht. Selbst für für zwei sollten nach Abzug von Bett und Kleiderschrank 2,16 Quadratmeter Spielfläche reichen. Der Essplatz wurde von der Küche ins Wohn-Esszimmer verlagert, so dass diese zum Spielen zu klein wurde. In jüngerer Zeit denken Architekten wieder mehr an Familien. Die Verbraucherzentrale stellt neuere Grundrisse vor. Güns-tig ist es, wenn alle Zimmer ähnlich groß sind, so dass ihre Nutzung varieren kann. So brauchen Jugendliche „ihr eigenes Reich“, das möglichst weit von den Eltern entfernt ist – idealer Weise ein Zimmer in Eingangsnähe, das durch einen kleinen Extra-Flur als „Schallschleuse“ vom Rest der Wohnung getrennt ist. Dieser Raum kann anfangs als Elternzimmer dienen und kann dann später wieder getauscht werden.

Allerdings weisen auch viele Neubauten Mängel auf, die elterliches Gemecker vorprogrammieren. So geht der Zugang zu Terrasse oder Garten fast immer übers Wohnzimmer, was für kleine Kinder ständiges Schuhe an- und ausziehen bedeutet. Die Grundrisse klassischer Reihenhäuser, wie sie heute noch viel gebaut werden, sind gar kaum familientauglich. Eltern müssen ständig Treppen steigen, um die Kinder zu beaufsichtigen, oder das Wohnzimmer im Erdgeschoss freigeben und damit auf ihren Rückzugsraum verzichten.

„Natürlich lässt sich nicht alles umsetzen, weil viele Wohnungen klein sind“, sagt Dirk Petersen von der Hamburger Verbraucherzentrale. Aber das Buch, das zusätzlich Tipps über Nachbarschaft und Kindermöbel enthält, biete immerhin einen Denkanstoß.

„KinderRäume - Wohnen mit Kindern“, 25 Mark, erhältlich bei der Verbraucherzentrale, Kirchenallee 22, Mo-Do 10-18.00, Fr 10-14.00

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