: Mehr Quote durch Wallbeschallung
■ Ein Bremer Optiker begehrt gegen das Streichkonzert bei Radio Bremen auf
Carsten Frenz ist verliebt. Verständlich, dass er den ganzen Tag mit seiner Liebe zusammen sein will. Morgens wenn er mit Walkman in sein Brillengeschäft am Wall radelt, während Brillenanpassung und Kundenberatung und natürlich zu Hause. Bisher war das alles kein Problem. Schließlich steht die Geliebte 24 Stunden zur Verfügung. Aber nun kann sie, die Kulturwelle Radio Bremen 2 (RB2), niemand mehr bezahlen. In ihrer bisherigen Form wird sie die Sparmaßnahmen beim kleinsten ARD-Sender nicht überleben.
Unzumutbar findet Frenz das beim derzeitigen Angebot in der Radiolandschaft. Im Nachfolgeprogramm „Nordwestradio“, das ab September ausgestrahlt werden soll, ist auch Werbung geplant. Damit wird das Programm versaut, meint Frenz. Was soll man da noch hören?
RB2 hebt sich nach seiner Auffassung deutlich vom Einheitsgedudel der übrigen Sender ab. Frenz will das Programm retten. Dafür gibt er seinem guten Namen her. Im Schaufenster seines Nobelladens stehen zwischen Gucci und Rodenstock historische Radios aus dem Bremer Rundfunkmuseum. Dazu Schilder, auf die in dicken schwarzen Lettern Namen wie „Journal am Morgen“; „Campus Radio“; oder „Art und Weise“ gedruckt sind. „Damit den Leuten bewusst wird, dass es diese Sendungen bald alle so nicht mehr gibt.“
Außerdem hat Frenz seine Elektriker beauftragt, einen Außenlautsprecher an seinem Geschäft anzubringen. Bis der die Straße beschallen kann laufen drinnen erst mal bloß die „Programmklänge“ von Serge Weber, Jingles und Trailer, die Radio Bremen auf CD gebrannt hat. „Vielleicht mache ich auch eine Unterschriftenaktion. Mal sehen, was mir noch so einfällt.“
Bestaunt ein interessierter Kunde die Schaufenster, öffnet der Optikermeister beherzt die Tür und fragt mit freundlicher Miene: „Das sind schöne Radios, nicht wahr?“ Und dann legt er los. Leidenschaftlich und engagiert wirbt er für die Rettung von Bremen 2. Bis der Kunde die Unverzichtbarkeit des zweiten Programms einsieht.
Die bislang ausschließlich positive Reaktion der Leute lässt sich Frenz auch was kosten: 500 Mark wurde in die Dekoration des Schaufensters investiert. Das Ergebnis wirkt seriöser als ein Transparent, und Frenz unterscheidet sich so zugleich von seiner Konkurrenz.
Alle vier Wochen bekommen die Designergestelle im Schaufenster einen neuen politischen Hintergrund. So wurde im Februar der frisch gewählte US-amerikanische Präsident mit einem Hackebeil gegrüßt. „Mir geht diese Fun und Beautywerbung auf die Nerven. Meine Schaufenster haben immer eine politische Botschaft. Das bringt Kunden, und das vertreibt Kunden“, meint Frenz. Vielleicht macht ihm dieses ungewöhnliche Konzept bald jemand nach, bis ganz viele mitmachen und Radio Bremen 2 wirklich gerettet wird.
Maria Hufenreuter
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