: Bio-Betriebe wittern das Geschäft
Die Nachfrage nach ökologisch hergestellten Lebensmitteln steigt schneller als das Angebot. Produzenten wollen sich Marktanteile sichern, notfalls im Alleingang. Demeter und Bioland sind bereits aus der Agro-Gemeinschaft „Agöl“ ausgetreten
von NICK REIMER
In der vergangenen Woche startete Bioland einen Hilferuf: Neue Betriebe dringend gesucht! Seit die Nachfrage nach Biofleisch das Angebot deutlich übersteigt, ist Bewegung in den Nischensektor Öko-Landwirtschaft gekommen. Die von Experten in Deutschland erwarteten Steigerungsraten von 20 Prozent decken sich mit einer Studie der Welthandelsorganisation in Genf: Öko-Produkte würden im Jahre 2005 einen Marktanteil von 10 Prozent haben. Angesichts dieser Aussichten versuchen sich die Biobauern gute Ausgangspositionen zu sichern. Michael Stienen, Geschäftsführer von Naturland: „Die Rahmenbedingungen für das Wachstum werden jetzt geschaffen.“
Das bedeutet, dass Bewegung in die „Agöl“ – die Arbeitsgemeinschaft Ökologischer Landbau – gekommen ist. Bislang waren hier neun Mitgliedsverbände mit knapp 7.700 Betrieben organisiert. Bisher. Doch mit Demeter und Bioland sind der älteste und der größte Mitgliedsverein gerade ausgetreten. „Um den Kundenwünschen nach einem breiteren Bio-Sortiment nachzukommen, sollen die Biobauern stärker mit den Verbrauchern zusammengeführt werden“, begründet Bioland-Vorstand Thomas Dorch den Austritt. Renée Herrnkind, Sprecherin von Demeter, führt eine ganze Reihe von Gründen an: „Nach der BSE-Krise reichte uns das Weiter-so-wie-bisher einfach nicht mehr. Es fehlt ein Leitbild der ökologischen Landwirtschaft. Und: Das gemeinsame Öko-Prüfzeichen hat sich nicht durchgesetzt“.
Swantje Kohlmeyer vom Ökolandbauverein „Gäa“ – benannt nach einer Göttin der Erde – sieht in dem Schritt den Versuch, sich Vorteile zu verschaffen. „Auf dem Markt sind die Verbände Konkurrenten. Niemand kann sich dort allein besser positionieren als Bioland und Demeter.“ Agöl-Sprecher Felix Prinz zu Löwenstein räumt „eine enorme Schwächung der Agöl“ ein. Auch wenn er bei der 13 Jahre alten Agöl „Bedarf an Reformen“ sieht, glaubt er nicht, dass der Austritt tatsächlich bessere Chancen am Markt mit sich bringt. Denn ein sprunghafter Anstieg des Rohstoffangebots ist nicht möglich: „Ein konventioneller Acker braucht drei Jahre Umstellungszeit auf Bio, ein Fleischbetrieb etwa zwei.“ Es sei beruhigend, dass die teilweise um 100 Prozent gestiegene Nachfrage derzeit nicht bedient werden könne. „Anderenfalls ist etwas faul.“
Dass der Markt für Bio-Produkte derzeit enorm wächst, ist unbestritten. Die Deutsche Bank beobachtet in ihrer jüngsten Marktanalyse, dass Selbstbedienungstheken momentan wesentlich schlechter abschneiden als Frische-Theken und dass dort besonders zertifizierte Produkte gefragt sind. Zwar würde sich nach Meinung der Analysten im Jahresverlauf der drastische Rückgang des Pro-Kopf-Fleischverbrauches etwas erholen. Verschiebungen seien aber nicht aufzuhalten, sagt der Marketing-Leiter von Gäa, Jörg Hunz. „Auf absehbare Zeit wird es keine Kette mehr geben, die es sich leisten kann, das Sortiment von Ökoprodukten nicht auszubauen.“
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