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Angeklagter im Toros-Prozess untergetaucht?

■ Gutachter wegen Befangenheit abgelehnt / Scharfe Kritik an Nebenklagevertreterin

Der lange Prozesstag um eine Vergewaltigung im Viertel-Imbiss Toros endete gestern in aufgebrachtem Geschrei. Fassungslos riefen sogar die Verteidiger der zwei Angeklagten wie auch die Richter der Ersten Großen Strafkammer des Landgerichts der Nebenklagevertreterin zu: „Frau Gattig, das hätten sie doch hier in der Verhandlung einbringen müssen.“

Anlass für den Aufruhr war ein beiläufiger Hinweis auf die Medikamenteneinnahme ihrer Mandantin durch die Anwältin gewesen, die ein neues Alkohohlgutachten forderte. Medikamente könnten die bislang unerklärliche Alkoholisierung ihrer Mandantin begründen, so die Anwältin, nachdem Gutachter Jobst von Karger wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden war. Der hatte – ohne Auftrag – darüber orakelt, dass die Zeugin wegen falscher Anschuldigungen bald selbst ein Verfahren zu erwarten habe. Zugleich hatte der 76-Jährige die junge Lesbe, die ihre Vergewaltigung letzten Sommer angezeigt hatte, wegen einer seltenen Krankheit für nicht schuldfähig erklärt. Pikant: Erst letzte Woche waren die zwei Angeklagten aus U-Haft freigekommen, weil das Gericht an der Glaubwürdigkeit der Zeugin zweifelt. Grund: Die Nebenklage hatte so gut wie keine Erklärung dafür geboten, wie die Frau in der Tatnacht auf zwei Promille Alkohohl im Blut kam – aber wenig getrunken haben wollte. Gestern donnerte deshalb der Beisitzende Richter Dirk Harms entgeistert: „Und wir fragen Ihre Mandantin von hinten bis vorne, ob Sie Medikamente gebraucht habe oder sogar Drogen.“ Er lese auch die Presse, fuhr Harms dann entnervt fort.

Die öffentliche Kritik an der Verhandlungsführung unter dem Stichwort „Hexenprozess“ ist bei den Richtern also angekommen – auch wenn zu Beginn der gestrigen Sitzung davon nicht viel zu spüren war. Fast jede Gelegenheit nutzten die Männer im Gerichtssaal, um – einer, oder alle durcheinander – vornehmlich die Staatsanwältin unnötig herablassend zu belehren und sich dabei kumpelhaft anzugrinsen. Dabei hätte das Gericht durchaus Anlass zu Selbstzweifeln gehabt: Der mit DNA-Spurenmaterial schwerer belastete Angeklagte Hassan A. war gestern nicht zur Verhandlung erschienen – wie insbesondere die Nebenklagevertreterin zuvor befürchtet hatte. Staatsanwältin und Nebenklagevertreterin hatten gegen die Haftentlassung protestiert – und gestern erneut einen Haftbefehl gefordert, über den das Gericht bis zur nächsten Verhandlung am Montag in einer Woche entscheiden will. Zur Begründung hatte die Staatsanwältin angeführt, dass gegen den Angeklagten weitere Ermittlungen liefen. Eine frühere Freundin des Mannes habe bei der Polizei ausgesagt, Hassan A. habe sie mehrfach geschlagen und vergewaltigt. Deshalb halte sie ihn einer Vergewaltigung für fähig. Damit widersprach die Frau allerdings eigenen Aussagen bei einer früheren polizeilichen Vernehmung. ede

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