: Schwere Zeiten für Sticheleien
Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen hat die Akupunktur nicht als gesetzliche Kassenleistung anerkannt. Die Behandlungskosten werden jetzt nur noch bei Modellversuchen erstattet. Doch die Securvita BKK ficht die Entscheidung an
von CORINNA BUDRAS
Wer bei der Behandlung von Krankheiten unkonventionelle Wege gehen möchte, sollte eigentlich keine Kosten und Mühen scheuen. Insbesondere bei der Akupunktur gewinnt diese Binsenweisheit in letzter Zeit immer mehr Bedeutung. Die seit Jahrtausenden praktizierte fernöstliche Behandlungsmethode erfeut sich hier zu Lande zwar größter Beliebtheit – rund 1,5 Millionen Menschen nehmen sie jährlich in Anspruch. Doch auch die Anfeindungen von Ärztefunktionären nehmen immer mehr zu. Speziell der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen legte diesbezüglich einen besonderen Ehrgeiz an den Tag. Sein letzter Coup: Im Oktober letzten Jahres lehnte er die Akupunktur als Leistung der gesetzlichen Krankenkassen ab. Das Problem: Noch immer weiß niemand so genau, warum Akupunktur eigentlich wirkt. Dass sie wirkt, ist indes unbestritten: Bei rund 85 Prozent der Patienten hat die Therapie Erfolg.
In der Vergangenheit war die Situation bei der Kostenerstattung uneinheitlich und blieb im Wesentlichen den verschiedenen Krankenkassen überlassen. Das ist nach dem Entschluss des Bundesausschusses nun nicht mehr möglich. Danach können Patienten die Kosten für eine Akupunkturbehandlung grundsätzlich nicht mehr von ihren Krankenkassen zurückverlangen. Nur die privaten Krankenkassen dürfen weiterhin die Kosten erstatten. Eine Entscheidung, die die kleine Hamburger Bretriebskrankenkasse Securvita zum Kochen bringt. Sie hat sich auf Naturheilverfahren spezialisiert und kämpft gegen ihren Intimfeind, den Bundesausschuss, schon seit Jahren wie ein kleines gallisches Dorf gegen seine römischen Besatzer. „Dieser unkontrollierte Geheimzirkel verletzt Patientenrechte“, schimpft Norbert Schnobach, Sprecher der Securvita BKK, und bezeichnet die Entscheidung des Bundesausschusses als inhaltlich falschen Beschluss, gegen den die Krankenkasse mit allen möglichen Mitteln ankämpfen wird. Ihr wichtigstes Argument: Der Bundesausschuss ist weder demokratisch gewählt noch kontrolliert. Denn das Gremium besteht aus 21 Ärzten, Kassenvertretern und Gesundheitspolitikern, die nach Ansicht von Schnorbach „ideologisch befangen“ sind. Auch ein Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen zielt in diese Richtung. Demnach könne der Bundesausschuss nur Empfehlungen abgeben: Seine Richtlinien seien „weder Rechtsverordnungen noch Satzungen oder Normsetzungsverträge. Sie haben keine normative Wirkung für die Versicherten.“
Dennoch sind den Krankenkassen durch diese Entscheidung nach ihrer Veröffentlichung im Bundesanzeiger erst einmal die Hände gebunden. Die einzige Möglichkeit, Patienten jetzt noch Behandlungskosten zu erstatten, sind Modellversuche zur Erprobung der Wirksamkeit der alternativen Behandlungsmethode. Diese Möglichkeit hat der Bundesausschuss den Krankenkassen ausdrücklich offen gelassen. Der Handlungsspielraum der Patienten ist damit jedoch wesentlich eingeschränkt. Die bürokratischen Hürden sind höher geworden, von der individuellen, indikationsübergreifenden Erstattung ist kaum mehr etwas übrig geblieben. Die zulässigen Modellversuche beschränken sich nunmehr auf chronische Kopf-, Lendenwirbelsäulen- und Osteoarthroseschmerzen. Akupunktur bei Allergien und Suchtbehandlung fällt damit völlig unter den Tisch. Und damit ausgerechnet bei Indikationen, für die laut Weltgesundheitsorganisation WHO die Akupunktur besonders geeignet ist. Sie können künftig nur noch dann durchgeführt werden, wenn der Patient die Behandlung aus der eigenen Tasche bezahlt – immerhin rund 70 Mark pro Sitzung.
Mittlerweile haben sich bereits einige Krankenkassen auf die veränderte Rechtslage eingestellt. So bieten bereits einige Innungskrankenkassen (IKK) und Betriebskrankenkassen (BKK) solche Modellversuche an. Auch die Techniker Krankenkasse (TKK) ist seit November letzten Jahres mit von der Partie. Darüber hinaus laufen noch Verhandlungen mit der Barmer, der Deutsche Angestellten-Krankenkasse (DAK) und der Kaufmännische Krankenkasse (KKH).
Wesentlich bürokratischer als vorher läuft jetzt jedoch auch die Behandlung selber ab. Die Modellversuche dürfen nur von ausgesuchten Ärzten durchgeführt und müssen wissenschaftlich ausgewertet werden. Auch der organisatorische Aufwand im Vorfeld ist immens: So lief das Modellvorhaben der TKK erst mit einiger Verzögerung an, denn für die „Menschenversuche“ musste erst die Einwilligung der Ethikkommissionen eingeholt werden.
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