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Die Schaufenster des Imaginären

In Paris genügt eine Fahrt mit der U-Bahn, um sich über den aktuellen Dresscode zu informieren. In Berlin sieht man dagegen nicht mal, welche Farben gerade in sind. Mit Filialen von Sisley oder Kookai werden die Einkaufsmeilen vorsichtig aufgerüstet

von ISABELLE GRAW

Mode funktioniert saisonal. Jedenfalls packt mich die Gier nach der neuen Mode immer zu Beginn einer neuen Saison, Ende Februar oder Anfang September. Dann setzt jene Form des obsessiven Selbstgesprächs ein, das letztlich nur der Rechtfertigung dient. Jedes Fashionvictim kennt diese Konferenzen, die man quasi mit sich selbst abhält. Man meint, sich auf die neue Jahreszeit auch kleidungstechnisch vorbereiten zu müssen, möchte dem Sommer gewachsen sein, ihm selbstbewusst entgegentreten. Manche reden sich sogar ein, sie würden dringend etwas Neues benötigen. Diese Notwendigkeit kann im vollen Bewusstsein der Tatsache behauptet werden, dass man sich eigentlich nur selbst etwas vormacht. Niemand, der sich der Mode verschreibt, glaubt wirklich, dass er oder sie etwas braucht.

Ebenso trügerisch ist der Glaube, man könne die Sucht durch ihre systematische Vorbereitung unter Kontrolle bringen. Bereits im Vorfeld Informationen einzuholen – meine Quelle ist zumeist die britische Vogue – schützt jedoch gegen unvorhergesehene Begehrensschübe und Spontankäufe. Man hat die Kollektionen bereits ausgiebig studiert und lässt sich nicht so schnell von ihnen aus der Fassung bringen. Außerdem hat die britische Vogue den Vorteil, dass sie die „Basics“ jeder Saison angenehm dogmatisch ausruft. Diese Zeitschrift suggeriert ihren Leserinnen niemals, dass sie die Wahl hätten oder selbst entscheiden könnten. Stattdessen wird hier eine gleichermaßen lustvolle wie bewusste Unterwerfung unter Modediktate zelebriert, die die Perspektive des aufgeklärten Fashionvictims verrät. Wenn die AutorInnen einige Accessoires und Kleidungsstücke zum absoluten Muss erklären, dann in Form von Artikeln, die ihren eigenen Widerstand wie auch die schlussendliche Resignation thematisieren.

Getönte Sonnenbrillen

Wer für diesen Sommer gerüstet sein will, so der Tenor der letzten Ausgaben, der sollte sich beizeiten breite, die Taille betonende Stretchgürtel besorgen sowie schiefhackige Pumps mit Socken, die sich am Bein kringeln und Falten schlagen. Dazu sollte man einen jener bunt gemusterten Röcke tragen, die tief in der Taille ansetzen, knielang sind und ballonartig fallen. Zur Ergänzung kann auch eine Jeans im Caprischnitt nicht schaden und überhaupt Jeansjacken, Jeanskleider – Jeansstoffe in allen Variationen, die sich im Übrigen gut mit jenen Oberteilen ergänzen, die mit ihren Flügelärmeln an die Achtzigerjahre erinnern. Ein absolutes Muss sind darüber hinaus jene auffällig getönten Sonnenbrillen, die bereits im letzten Sommer im Angebot waren. Fast hätte ich das ebenfalls obligatorische Hemdblusenkleid vergessen, das jetzt schon alle Designer – von Guess über Sisley bis zu Strenesse Group anbieten – allerdings in verschiedenen Preisklassen.

Apropos Preise. Wie soll man das eigentlich alles bezahlen? Zahlungsunfähigkeit tut der Modesucht keinen Abbruch. Die Attraktivität der Mode gehört einer anderen Ordnung an als rationale Überlegungen, die die eigene finanzielle Lage betreffen. Mode lebt sozusagen von der Bereitschaft ihrer Klientel, sich zu ruinieren und eigentlich Unerschwingliches zu akquirieren. Umgekehrt geht jede Modefixierung – und auch das ist ein suchttypisches Muster – mit dem Wunsch einher, sie endlich aufzugeben und von ihr loszukommen. Zu Beginn jeder Saison fassen Fashionvictims regelmäßig den Vorsatz, es dieses Mal lieber sein zu lassen und das Geld stattdessen sinnvoll – zum Beispiel in die Rentenvorsorge – anzulegen. Und sie trösten sich damit, dass sich doch jede Menge Garderobe in ihren Schränken befinde. Gerade in Zeiten wie diesen, wo die aktuelle Mode die Achtzigerjahre zitiert, müssten sich doch die alten Sachen aus den Achtzigerjahren recyceln lassen?

Das Problem besteht gleichwohl darin, dass die Mode mit diesen Flucht- und Diziplinierungsversuchen rechnet und sie gekonnt zum Scheitern bringt. Besteht doch die Pointe jeder Wiederholung in der Mode darin, dass sie sich über eine – alles entscheidende – Differenz definiert. Werden wie in diesem Sommer die Vierzigerjahre und die Achtzigerjahre zum x-ten Mal geplündert, dann in einer spezifischen, unnachahmlichen Weise.

Einsame Fashionvictims

Der geschulte Blick sieht sogleich die Unterschiede zwischen einem, sagen wir Alaia-Rock aus den Achtzigerjahren und einem Prada-Rock, der diesen Rock zitiert aber geringfügig – und entscheidend – verändert, indem etwa ein Zentimeter in der Länge zugegeben oder eine zusätzliche Falte appliziert wird. Man holt also ein altes Designerstück aus dem Schrank und kann nicht umhin, sich auf seine „Mängel“ zu fixieren, die im Übrigen kaum jemand sonst als solche wahrnehmen würde.

Ein anderer Trick gegen Modesucht, den im Übrigen auch deutsche Modezeitschriften empfehlen, besteht darin, sich ausschließlich auf Accessoires zu konzentrieren – Handtaschen, deren Form jede Saison variieren oder die bereits erwähnten Sonnenbrillen. Das Accessoire-Denken, welches in den letzten Jahren eine Konjunktur erlebte, zehrt von der Hoffnung, dass schon die bloße Handtasche etwa mit dem derzeit angesagten halbrunden Henkel oder eine tropfenförmige Brille von Chloé dem Rest der Garderobe eine modische Aura verleihen würde, die keine ergänzenden Kleidungsstücke mehr benötigt. Alles andere – sagen wir eine unspektakuläre Jeans plus T-Shirt – soll im Glanz dieser Accessoires gleichsam erstrahlen und von ihrer modischen Aura profitieren. Dieses Denken macht jedoch einen zweifachen Fehler: Nicht nur, dass es labelgeschulte „andere“ voraussetzt, die solche Accessoires erkennen und zu würdigen wissen. Nein, es unterschätzt auch den Widerstand des Modesüchtigen, der sich selbst nicht überlisten kann und will.

In einer Stadt wie Berlin geht die Rechnung schon deshalb nicht auf, weil man hier ohnehin weitgehend ohne die anerkennenden Blicke der anderen auskommen muss. Macht man die Regel aufs Exempel und geht mit einer Chloé-Brille ausgestattet auf die Straße, dann wird einem die Einsamkeit des Fashionvictims in dieser Stadt vollends bewusst. Berlin gehört nicht zu jenen Metropolen, wo sich die Leute – zumal Frauen – auf der Straße mit einem blitzschnellen, unglaublich kennerhaften, klassifizierenden und abschätzenden Blick begegnen, der am Körper des Gegenübers quasi „herunterfährt“. Gerade in den Wintermonaten ist es in Berlin eher üblich, aneinander vorbeizugucken und der Inszenierung des anderen, seinem Auftritt, keinerlei Beachtung zu schenken. Von modischen Normen scheint hier kaum jemand in Schach gehalten zu werden – jedenfalls lässt es sich bei einem Spaziergang durch „Mitte“ nicht in Erfahrung bringen, welche Farbe im Moment angesagt ist.

Anders in Städten wie London oder Paris – dort genügt bereits eine U-Bahnfahrt, um sich über den aktuellen Kleidercode zu informieren. Daraus jedoch den Schluss zu ziehen, dass Modebewusstsein eben nur in einem modebesessenen Milieu gedeihe, ist ein wenig vorschnell. Modebegeisterung kann zwar in fashiondominierten Städten stärker „angestachelt“ werden und zuweilen vollständig außer Kontrolle geraten.

Dennoch ist die Entstehung eines modischen Begehrens nicht auf die anerkennenden Blicke des anderen angewiesen. Das modebesessene Subjekt ist durchaus dazu in der Lage, das Fehlen dieses gegenseitigen Abcheckens zu kompensieren. Es braucht kein reales Gegenüber, das seine Inszenierung würdigt. Der Blick des anderen hat ohnehin phantasmatischen Charakter und kann deshalb vollständig imaginiert und verinnerlicht werden. Anders gesagt betrachtet man sich selbst mit den Augen des imaginären Sachverständigen – ob nun real vorhanden oder nicht, ist sekundär. Glücklicherweise gibt es in Berlin mittlerweile ein paar Orte, die sich auf die Bedürfnisse des aufgeklärten Fashionvictims eingestellt haben – vom teuren Quartier 206 bis zur auch nicht gerade billigen Designeretage bei Peek & Cloppenburg.

Das Quartier 206 geht in diesem Frühjahr so weit, besagte Pumps (von Miu Miu) samt herunterfallenden Socken anzubieten und die erwähnten Stretchgürtel bereitzuhalten. Auch Kookai und Sisley haben mittlerweile Filialen in Mitte eröffnet. Sie halten sich ebenfalls an die Dogmen der Highfashion und sind aufgrund der verwendeten Stoffe erschwinglicher. H & M offeriert die derzeit günstigste Version des oben bereits angesprochenen Hemdblusenkleids. Am Potsdamer Platz ist die Kette besonders gut sortiert.

Parallel dazu haben Edeldesigner wie Louis Vitton jetzt in Charlottenburg eine Filiale eröffnet, und Hermes macht demnächst auf der Friedrichstraße auf. Von der viel beschworenen Konkurrenz dieser beiden Einkaufszonen habe ich im Übrigen nie etwas bemerken können. Mir kam es eher so vor, als würden sie sich gegenseitig ergänzen und jeweils spezifisches Publikum ansprechen. Die Friedrichstraße wirkt im Vergleich immer noch ein wenig ausgestorben.

Leere Friedrichstraße

Um sich über die aktuellen Angebote einen Überblick zu verschaffen, muss man demnach viel Zeit investieren – drei Tage mindestens dauert die Recherche quer durch die ganze Stadt, ohne die ich einen Kauf nicht empfehlen würde. Denn wer weiß, ob sich nicht in der anderen Boutique noch eine interessantere Version desselben Kleidungsstücks findet? Diese Zeit der Recherche ist aber auch die perfekte Gelegenheit, um über neue Finanzierungsmodelle nachzudenken. Im Anbetracht der fiebrigen geistigen Aktivitäten, die man dabei entfaltet, wirkt der Vorsatz, es in diesem Jahr einmal bleiben zu lassen, nur noch blass und veraltet.

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