: Kinder als Verteilungsmasse
Getrennt lebende Väter beschweren sich oft über „Mütterboykott“ und „Kindesentzug“. Doch viele Väter wollen keinen Kontakt zu ihren Kindern; Unterhalt gilt als Belastung
Vor zweieinhalb Jahren wurde das Kindschaftsrecht reformiert – doch zwei Probleme werden weiterhin stark diskutiert. Wie ist das Sorgerecht bei getrennten Eltern am besten zu regeln und wie das Umgangsrecht auszuüben? Kinder berühren das Leben und Empfinden von Eltern tief; doch ebenso tief sind oft die Verletzungen und Ressentiments, die bei Müttern und Vätern durch die Trennung entstehen. Die Sorge für die Kinder und die Enttäuschung über den Partner überlagern sich häufig so stark, dass die Argumente unfair werden und eine angemessene Lösung im Sinne des Kindes kaum noch gefunden werden kann. Vor einiger Zeit hat Peter Köpf an dieser Stelle „das unverdiente Leid der Väter“ beklagt (taz vom 24. 2.). Dramatische Einzelbeispiele sollten seine These belegen, dass sich die Väter treu um ihre Kinder kümmern würden – wenn ein prinizipiell gemeinsames Sorgerecht sie nur ließe. Dann würden sie auch regelmäßig den Unterhalt zahlen, was bisher oft ein Problem ist. Köpf unterstellt, dass die meisten getrennt lebenden Mütter egoistisch dazu neigten, die Väter aus der Erziehung der gemeinsamen Kinder fern zu halten. Diese Einschätzung wird durch die empirische Forschung jedoch keinesfalls belegt.
So liegen inzwischen erste wissenschaftliche Ergebnisse zur Kindschaftsrechtsreform von Roland Proksch vor, einem Forscher am Institut für soziale und kulturelle Arbeit in Nürnberg. Dabei zeigt sich: Bei gemeinsamer Sorge scheint die Kooperation nicht zu funktionieren, denn drei Viertel der Eltern, bei denen die Kinder leben (zu 80 Prozent Mütter), geben an, dass sie vom Expartner keine Unterstützung bekommen. Daher bedauert ein Drittel bereits kurz nach der Scheidung, sich für die gemeinsame Sorge entschieden zu haben. 45 Prozent dieser Eltern, die die Kinder betreuen, haben Probleme mit dem Unterhalt und 24 Prozent wünschen sich mehr Kontakt zwischen Vater und Kind. Die Hoffnung des Gesetzgebers, durch mehr Väterrechte mehr Vätermotivation zu erzeugen, hat sich kaum realisiert.
Diese bundesdeutschen Ergebnisse werden gestützt durch die aktuelle amerikanische Forschung: Judy S. Wallerstein und Julia Lewis, zwei international anerkannte Autoritäten bei der Untersuchung von Scheidungsfolgen, haben 130 Kinder und ihre Eltern über 25 Jahre hinweg beobachtet (FamRZ, 2/2001). Ihr Ergebnis: Es besteht kein Zusammenhang zwischen der Umgangsregelung und der Zahlungsmoral. Auch Väter, die ihre Kinder regelmäßig sehen, kümmern sich nicht um ihre finanzielle Unterstützung. Nur ein Drittel der Väter hat für die Kinder zumindest zeitweise kontinuierlich finanziell gesorgt.
Ob der Vater seine Kinder regelmäßig sehen will, hängt vor allem von seiner Lebenssituation ab. Persönliche Krisen, berufliche Misserfolge und neue Bindungen halten Väter davon ab, den Kontakt zu ihren Kindern aufrechtzuerhalten. Auch die Einstellung der neuen Partnerin beeinflusst den Umgang mit den Kindern: Lehnt diese die ersten Kinder des Mannes ab, brechen Väter den Kontakt zu ihren Söhnen und Töchtern ab. Dann finanzieren Väter die Collegeausbildung ihrer Stiefkinder, aber ihre leiblichen Kinder unterstützen sie nicht. Diese Ergebnisse werden auch durch die Untersuchung von Laszlo A. Vaskovic zur Lebenslage nichtehelicher Kinder gestützt. Väter, die mit einer neuen Partnerin zusammenleben, haben kaum noch Kontakt zu diesen Kindern und fühlen sich massiv belastet durch ihre Unterhaltspflichten.
Was Pro-Väter-Artikel wie jener von Peter Köpf ebenfalls gern vernachlässigen, ist die Rolle, der Kinder in dieser Auseinandersetzung zwischen den Eltern. Es geht immer nur um Väterrechte und den angeblichen Mütterboykott; was die betroffenen Kinder dazu sagen, scheint die Vätervertreter nicht zu interessieren. Dabei macht eine Untersuchung von Wallerstein und Lewis klar, dass ideologisch motivierte Meinungen über die kindliche Realität stark von dieser abweichen – und dass das Umgangsrecht nur sinnvoll geregelt werden kann, wenn das Kind Mitsprache erhält. Dabei ist die häufige Sorge der Väter unbegründet, die Mütter könnten ihre Kinder negativ gegen die Väter indoktrinieren. Denn es zeigt sich in Studien, dass die Kinder ihr Urteil über die Eltern selbstständig bilden und revidieren – auf der Grundlage von eigenen Beobachtungen. Keine etwaige Allianz mit einem Elternteil überdauert die Pubertät.
Wenn Väter es aufgrund ihrer Lebensumstände nicht schaffen, ihren Kindern die Treue zu halten, dann haben Kinder keinen Respekt vor ihnen. Intensive Wut entwickeln Kinder, die per Gerichtsbeschluss gezwungen wurden, ihren Vater auch dann zu sehen, wenn sie ihn ablehnen. Auch wenn es das Ziel war, den Kontakt zwischen Vater und Kind zu fördern, so erwies sich der Weg der Verordnung als kontraproduktiv: Kein einziges Kind, das seinen Vater im Rahmen einer rigiden richterlichen Anordnung oder elterlichen Vereinbarung zu sehen hatte, unterhält als Erwachsener eine gute Beziehung zu ihm. Kann das Väterwille sein?
Nach über zwei Jahren Erfahrung mit der Kindschaftsrechtsreform sollten Konsequenzen aus den empirischen Befunden gezogen werden. Auch im deutschen Kindschaftsrecht ist die Kinderperspektive aus dem Blick geraten. Eltern lassen sich scheiden – und alles, was über die Kinder gesagt wird, ist, dass sie vorhanden sind. Wird kein Antrag auf Alleinsorge gestellt, kommen Kinder im Scheidungsverfahren nicht vor. Erst ab 14 Jahren müssen Kinder angehört werden, alle anderen sind „Nichtpersonen“, wie Wallerstein und Lewis treffend sagen. Es wird erwartet, dass sie sich in elterliche oder richterliche Anordnungen zum Sorge- und Umgangsrecht fügen. Kindliche Wünsche wie Ferien- und Wochenendpläne oder Verabredungen mit Freunden kommen im Erwachsenenarrangement nicht vor. Kinder werden damit zur Verteilungsmasse zwischen Eltern, ohne dass sie als eigenständige Persönlichkeiten mit individuellen Bedürfnissen und Interessen berücksichtigt würden.
Hier sollte der Gesetzgeber andere Prioritäten setzen. Schon in der rot-grünen Koalitionsvereinbarung war zu lesen, dass das Umgangsrecht weiter entwickelt werden soll, um die Position des Kindes zu stärken. Kinder sollten die Gelegenheit bekommen, ihre Meinung zu äußern, und Richter geschult werden, wie man Kinder befragt. Umgangsregelungen dürfen nicht gegen den Willen der Kinder ergehen, wie der renommierte Kinderpsychiater Jörg M. Fegert fordert (Kind-Prax 1/2001). Doch auch ohne Gesetzesänderung ließe sich viel tun: Indem man die Kinder einfach nur über ihre bestehenden Rechte informiert. Eine Befragung von 133 Kindern im Alter von 11 bis 15 Jahren von Füchsle-Voigt (Kind-Prax 5/2000) ergab, dass 90 Prozent dieser Kinder noch nichts über das Kindschaftsrecht gehört haben und 93 Prozent keine Ahnung haben über ihre Rechte. Auch Kinder sollten über ihre familiäre Situation beraten werden, um ihnen Entscheidungen zu ermöglichen.
GABRIELE SCHEFFLER
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