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Tarzan aus dem Mädchenpensionat

Alfredo Bryce Echenique hat einen Roman geschrieben, der im Deutschen leider „Küss mich, du Idiot“ heißt

Was bitte ist von einem Buch mit dem Titel „Küss mich, du Idiot“ zu erwarten? Kaum mehr als von solchen, die mit angestrengter Heiterkeit wie „Ein Mann für alle Tonarten“, „Frauen, die Prosecco trinken“ oder „Suche impotenten Mann fürs Leben“ um Aufmerksamkeit buhlen.

„Küss mich, du Idiot“ wäre ein guter Titel für einen „frechen“ Backfischroman der Sechziger gewesen, als Teenager tatsächlich noch Backfische hießen und der erste Kuss, die erste Liebe die Herzen junger Mädchen noch höher schlagen ließen. Wie aber kommt ein der literarischen Hochkultur verschriebener Verlag wie das Frankfurter Haus Suhrkamp auf die Idee, den ersten auf Deutsch erscheinenden Roman des in der Spanisch sprechenden Welt sehr renommierten peruanischen Autors Alfredo Bryce Echenique unter dem anbiedernden Titel „Küss mich, du Idiot“ auf den Markt zu bringen? Fast möchte man sagen, recht geschieht ihnen, wenn der Roman hierzulande sang- und klanglos untergeht, wenn es nicht so schade um das schöne Buch wäre.

„Tarzans Mandelentzündung“ heißt Alfredo Bryce Echeniques hinreißend charmanter Liebesroman im spanischen Original. Nicht gerade eingängig, aber ungleich schräger, rätselhafter und damit auch dem Buch angemessener als die deutsche Titelei. Denn „Tarzan“ nennt der peruanische Liedermacher und unglücklich Liebende Juan Manuel Carpio seine angebetete Fernanda María de la Trinidad del Monte Montes, Salvadorianerin aus besserer, aber verarmter Familie, die er im Paris der Sechziger kennen lernt. Tarzan nennt er sie, weil sie sich wie der Herr des Urwalds todesmutig und stets gut gelaunt in ein Leben stürzt, auf das sie in ihrem vornehmen Schweizer Mädcheninternat niemand vorbereitet hat: Der chilenische Fotograf, den sie nach der Trennung von Juan Manuel überstürzt heiratet, entpuppt sich nur zu bald als gewalttätiger Trinker; brutale Diktatoren, Todesschwadronen und Bürgerkriege treiben sie von einem Exil ins nächste. Mal sind es die Rechten, vor denen sie flieht, mal bedrohen sie die Linken mit dem Tode. In ihren Briefen berichtet diese Frau, die „Angst und Schmerz erlebte, aber am Morgen niemals traurig war“, ihrem peruanischen Liedermacher von solchen Schicksalsschlägen, als handele es sich um einen Wasserrohrbruch oder eine Mandelentzündung.

Es ist eine Liebe, die wie alle romantischen und idealen Lieben nie wirklich gelebt wird – nur in Briefen und gelegentlichen kurzen Begegnungen. Denn obwohl die beiden wissen, dass sie füreinander geboren sind, gelingt es ihnen nur selten, zur selben Zeit am selben Ort zu sein. Warum sollten sie auch? Sie wissen selbst, dass sie in ihren Briefen „besser“ waren.

Bryce Echenique erzählt diese Geschichte einer altmodischen Liebe mit viel Zärtlichkeit und dem lateinamerikanischen Überschwang, den viele Europäer so sehr an den Latinos mögen. Und er erzählt sie mit der abgründigen Ironie jener exilierten Südamerikaner, die wissen, dass sie vor allem ihrer guten Laune und ihrer Ponchos und Panflöten wegen auf die Feste der Europäer geladen wurden, und doch den stillen Triumph auskosten.

Denn am Ende trugen die armen Genossen aus Lateinamerika im Kampf der politischen Symbole den Sieg davon: Die europäischen Barrikadenstürmer mochten sich noch so sehr mühen, die Fantasie an die Macht zu bringen, der einzige geistige Führer der 68er, der im kollektiven Unterbewusstsein überlebte, war der bärtige Che mit seiner Baskenmütze.

Wer Augen hat zu lesen, findet zwischen Bryce Echeniques Zeilen viele solche hintersinnigen Bemerkungen und Beobachtungen, die den Übersetzer auf manche harte Probe stellten. Umso jammervoller, dass dieses Buch mit seinem irreführenden Titel so falsche Erwartungen weckt.

DIEMUT ROETHER

Alfredo Bryce Echenique: „Küss mich, du Idiot“. Aus dem Spanischen von Matthias Strobel. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2000, 325 Seiten, 39,80 DM

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