: Zapatisten im Zentrum der Macht
Großer Bahnhof für die Zapatistenführer in Mexiko-Stadt. Präsident Fox sieht im friedlichen Marsch auf die Hauptstadt eine demokratische Zeitenwende, doch die Differenzen mit dem Kongress um die indigenen Autonomierechte bleiben unverändert
aus Mexiko-Stadt ANNE HUFFSCHMID
„Hinter uns stand schon immer die Regierung“, sagte Subcomandante Marcos am Sonntag zum Auftakt seiner Abschlussrede in Mexiko-Stadt. Das war wörtlich und ironisch zugleich gemeint: denn tatsächlich war die Bühne für die zapatistischem Comandantes nur weniger Meter vor dem Präsidentenpalast aufgebaut. Der Zócalo, der große Hauptplatz in der kolonialen Altstadt, war brechend voll, die umliegenden Hotelterrassen waren bis auf den letzten Platz besetzt, an allen Fassaden hingen Transparente, „Bienvenidos“ – Wilkommen.
Über 200.000 Menschen waren zur Abschlusskundgebung der zweiwöchigen „Zapatour“ gekommen. Pünktlich zum 100-Tage-Amtsjubiläum der Regierung von Vicente Fox war die 24-köpfige Guerilla-Delegation nach zweistündiger Fahrt durch die Stadt auf den Zócalo eingefahren – und das nicht zum Gratulieren. „Wir sind nicht gekommen, um um Almosen zu betteln“, sagte Comandanta Esther, eine der vier weiblichen Comandantes der Delegation, „und wir wollen auch kein Lädchen, keinen VW-Käfer und keinen Fernseher.“ Diese drei Dinge hatte der ehemalige Unternehmer und jetzige Präsident Fox seinen „indianischen Brüdern und Schwestern“ wiederholt in Aussicht gestellt.
Was sie stattdessen wollen, machten alle Redner noch einmal unmissverständlich klar: einen „würdigen Platz“ für die indigenen Völker Mexikos, so Comandante Tacho, der neben Marcos als einer der Köpfe der Zapatistenguerilla EZLN gilt: „Das Vaterland gehört auch uns.“ Das Recht auf diesen „Platz“, also auf indigene Differenz und Selbstorganisation, soll nach einem Beschluss des Dritten Nationalen Indio-Kongresses vom vorigen Wochenende erstmals in der Verfassung verankert werden. An der Versammlung hatten neben den 24 Zapatistas 3.500 Delegierte von 41 der 56 Ethnien Mexikos teilgenommen. Denn alle institutionellen Reformprojekte der Fox-Regierung, so schreibt der Mixteco-Anwalt Francisco López Barcenas in der Zeitung La Jornada, seien solange sinnlos, „solange wir nicht als Rechtssubjekte mit unseren kollektiven Rechte anerkannt sind“.
Noch am Vortag gab sich Fox angesichts des subversiven Aufmarschs betont gelassen. Die Karawane der Aufständischen sei, so Fox in seinem wöchentlichen Radioprogramm, ein untrügliches Zeichen für „das neue demokratische Klima“ im Lande. „Möge der Zapatismo gewinnen, möge Marcos gewinnen, mögen die Indigenen gewinnen.“ Schließlich habe er höchstpersönlich die Gesetzesinitiative über indigene Autonomien, für die die Zapatisten werben, dem Kongress vorgelegt. Allerdings, so fügte er auf Nachfrage hinzu, gäbe es bei einigen Punkten offenbar noch „Klärungsbedarf“.
Ebendiese „Klärung“ aber könnte einen baldigen Friedensschluss verhindern. Denn auch am Sonntag betonte Comandante David die drei „Signale“, die die EZLN zur Bedingung für die Wiederaufnahme der Friedensgespräche macht: die Schließung von sieben Militärstützpunkten, die Freilassung von 103 inhaftierten Zapatisten und die Verabschiedung des Autonomiegesetzes. Dass bisher nur vier der Stützpunkte geräumt sind und noch immer 19 Zapatisten hinter Gittern sitzen, wertete Tacho als Ausdruck von „Sturheit und fehlender Sensibilität.“
Das dritte Signal, die parlamentarische Verabschiedung der Verfassungsreform, aber liegt tatsächlich nicht in der Hand des Präsidenten. Und es gilt derzeit als unwahrscheinlich, dass das Parlament, in dem keine der drei großen Parteien – die Fox'sche PAN, die linkssozialdemokratische PRD, und die ehemalige Staatspartei PRI – eine Mehrheit hat, das Autonomiegesetz in Kürze verabschiedet. Sowohl Teile der PRI wie auch Parteigänger des Präsidenten haben juristische „Bedenken“ gegen die Autonomie-Initiative angemeldet. Eine Veränderung oder gar Neuverhandlung des Gesetzestextes will wiederum die EZLN nicht aktzeptieren.
Das Dilemma scheint perfekt: Die effektive Gewaltenteilung, auf die sich die parlamentarischen Kritiker der von Fox lancierten Initiative berufen, steht gegen die „historische Verantwortung“, an die Indiobewegungen, NGO-Vertreter und prozapatistische Aktivisten appellieren. „Der Frieden“, resümierte PRD-Senator Demetrio Sodi, „liegt jetzt in den Händen des Kongresses.“ Der hat sich aber bisher nicht einmal darauf einigen können, ob ein maskierter Comandante in den nächsten Tagen überhaupt offiziell vor dem Hohen Haus sprechen darf.
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