: Minimiertes Restrisiko
Nach dem 1:1 im Zweitliga-Gipfeltreffen zwischen Gladbach mit seinem spitzbübischen Trainer-Oldie Hans Meyer und Tabellenführer Nürnberg scheinen beide auf Rückkehrkurs in die Bundesliga
aus Gladbach BERND MÜLLENDER
1:1 endete am Montagabend das Duell der Klassenbesten der Zweiten Liga. Ein Spiel von mäßigem Prickel, und doch richtungsweisend. Club-Torwart Andy Köpke, am Spieltag stolze 39 geworden, befand: „Beide haben den Erstliga-Check bestanden.“ Gladbachs Trainer Hans Meyer gab keck den Mathematiker: „Die Aufstiegswahrscheinlichkeit“, dozierte er schelmisch, betrage jetzt „61 statt 60 Prozent“. In realen Zahlen: Seine Borussia ist neun Spiele vor Toresschluss mit sechs Punkten Vorsprung auf einen Nichtaufstiegsplatz genauso wie Nürnberg (souveräne 13 Punkte Vorsprung) auf Kurs.
Soll man denn hoffen, dass Borussia wieder aufsteigt, nach zwei langen Jahren Zweitligaödnis? Ja, rufen alle im Chor, bitte ja! Der Mythos Mönchengladbach gehört doch, einem Naturgesetz gleich, in die Bundesliga wie der Ball ins Tor. Statt solch modischer Zufälle wie Unterhaching, Cottbus oder Wolfsburg. Auch wenn man dann wieder gefoltert wird mit der endlosen Legende von den frisch fußballernden Fohlen, vom hemmungslosen Offensivfußball, von der revolutionären Andersartigkeit der Kultkicker aus der Tiefe des niederrheinischen Hinterlands.
Für einen bedingungslosen Aufstieg der Borussen spricht unbedingt ihr Trainer Hans Meyer (58). Ein Mann von Witz und Spitzbubencharme, niveauvoll (selbst-)ironisch mit Neigung zu schwarzem Humor. Was jetzt mit der Aufstiegseuphorie sei: „Ich habe eine Mannschaft zu betreuen, nicht Euphorie zu bremsen.“ Statement zum Spiel: „Och“, mit Blick zu Nürnbergs Coach Klaus Augenthaler, „das war doch schon ’ne ganz anständige Analyse des Kollegen.“
Meyer gilt als kompromisslos hart im Training, als Hasser von Schlendrian, immer leidenschaftlich, manchmal mit sturem Kopf, den aber mit reichlich Sachverstand abgefedert, was bekanntlich nicht selbstverständlich ist in der Blender-Branche Fußballlehrer. Und er sagt, wie Montag, ganz selbstverständlich: „Die Möglichkeiten der Trainer werden überbewertet.“ Mal ist Meyer zynisch, mal herzenswarm und mal alles zusammen. Also unberechenbar. Der Trainer sei, hat sein Exspieler Marcel Ketelaer mal gesagt, „wahrscheinlich der Einzige, der immer weiß, ob das nun ernst gemeint war, was er sagt oder nicht“. Wobei auch das nicht sicher ist. Der eigensinnige Wollmützenträger spricht aus langer Erfahrung: „Meistens verstehen die wichtigsten Leute im Klub nichts von Fußball.“ Sein Credo: „Gib nichts darauf, was die Öffentlichkeit sagt.“ Angeblich nerven Meyer die Presse-Rituale. In Wahrheit liebt er sie: Da kann er mit Charme-Mützeln und florettfeinen Stichen die Schreiberwelt so schön piesacken.
Am Montag gelang dem Ex-DDRler dies bei einem Boulevardreporter schon per Blick, worauf dieser noch im Fragen die Stimme ins Unverständliche senkte. Dem SZ-Kollegen erklärte er eine vermeintlich unverstandene Interviewstelle als anzügliche Bemerkung auf Erich Mielke („Ich liebe fast alle Journalisten“). Meyer weiß immer die Lacher auf seiner Seite, was die Angreifbarkeitswahrscheinlichkeit im Falle sportlicher Durststrecken verringert.
Einmal war am Montag sogar das glorreiche Gestern auf Stippvisite. Dem 1:0 durch Arie van Lent nach 20 Minuten war eine Stafette feinster Direkt- und Doppelpasskombinationen vorausgegangen, dass es eine Lust war. Den Ausgleich (Beliakow, 62.) verdankte Nürnberg einer kuriosen Strafraum-Irrnis des auch schon 36-jährigen MG-Torwarts Uwe Kamps.
Beide ließen höchstens momentweise Brillanz erahnen, gestatten sie aber, ganz dem Credo modernen Fußballs geschuldet, auch dem Gegner kaum. Zerstörungsqualität und Organisation der Defensivverbünde beider Teams ist erstligareif. Besonders Innenverteidiger Marcelo Pletsch sieht in erfolgreicher Destruktion seinen Lebenszweck. Pletsch ist übrigens Brasilianer und gilt als einziger Fußwerker seines Landes, dem der Ball nicht Freund ist. Hans Meyer hatte das bei Amtsübernahme gleich erkannt: „Ich habe meine Bedenken, ob ich ihm das Fußballspielen noch beibringen kann.“ Eine zutreffende Prognose. Hoffentlich auch, dass das pfeilschnelle Hochtalent Lawrence Aidoo, ein 19-jähriger Ghanaer, bald auch Bundesliga-Grätscher zu umkurven wissen wird.
„Nie mehr zweite Liga“, hatten die Fans beider Teams in den Schlussminuten lautstark und miteinander gesungen. Vergessen all die Aufregung über den Linienassistenten mit dem viel versprechenden Namen Heiner Müller, dem jedes dramaturgische Verständnis bei seinem notorisch absurden Abseitsgewinke fehlte und der so für großes Theater auf den Tribünen sorgte. „Nie mehr DSF“, sangen die Fans.
Hans Meyer sagt: „Klar, wir wollen aufsteigen.“ Aber Meyer wäre nicht Meyer, wenn er nicht vom ersten Spieltag an auch eine ironisch-strategische Formulierung parat gehabt hätte: „Unser Ziel ist es, das Risiko des Nichtaufstiegs zu minimieren.“ Es sieht gut aus. Vielleicht sind es sogar schon 62 Prozent Eintrittswahrscheinlichkeit.
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