: Bei Umzug entfällt Sozialhilfe
Bundesverfassungsgericht akzeptiert eine Regelung im Sozialhilfegesetz, die den Umzug von bedürftigen Flüchtlingen in ein anderes Bundesland finanziell bestraft
FREIBURG taz ■ Geduldeten Flüchtlingen darf die Sozialhilfe bei einem Umzug in ein anderes Bundesland gestrichen werden. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte gestern eine entsprechende Regelung des Bundessozialhilfegesetzes. Es lehnte damit die Klage einer sechsköpfigen libanesischen Familie ab, die von Niedersachsen nach Berlin gezogen war und dort weiter Sozialhilfe beziehen wollte.
Die Regelung betrifft Ausländer, die eine unbeschränkte Aufenthaltsbefugnis haben, aber dennoch auf Sozialhilfe angewiesen sind. Die Bestimmung soll verhindern, dass sich die Sozialhilfekosten in einzelnen Bundesländern, insbesondere den Stadtstaaten, konzentrieren, weil immer mehr Flüchtlinge dort ihren Wohnsitz nehmen. Umzüge innerhalb des Bundeslandes, das die erste Aufenthaltsbefugnis erteilte, sind aber ohne weiteres möglich. Insofern ist die Regelung nicht mit der „Residenzpflicht“ von Asylbewerbern zu vergleichen, die während des Asylverfahrens den Landkreis, dem sie zugeteilt wurden, nur mit staatlicher Genehmigung verlassen dürfen.
Wie das Bundesverfassungsgericht jetzt entschied, verstößt die kritisierte Sozialhilferegelung nicht gegen das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Zwar könnten auch Ausländer ihren Wohnort in Deutschland im Prinzip frei wählen. Einschränkungen im „überwiegenden Interesse der Allgemeinheit“ seien aber zulässig, wenn sie nicht den „unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung“ berühren. Die Verfassungsrichter hielten die hier zu prüfende Regelung nun aber für „verhältnismäßig“. So sei es ein „hinreichend gewichtiger Zweck“, die für Ausländer aufzuwendende Sozialhilfe ausgewogen auf die Länder zu verteilen.
Die Einführung eines Ausgleichsfonds für besonders stark „belastete“ Bundesländer wollte Karlsruhe nicht vorschreiben. Denn auf diesem Wege hätte ein zweiter Gesetzeszweck, die Verhinderung von mehrfachem Sozialhilfebezug, nicht erreicht werden können, so die Richter.
Karlsruhe betonte, dass es lediglich verfassungsrechtliche Aspekte prüfen konnte. Die Auslegung des einfachen Rechts obliege den Fachgerichten. Auch die Frage, ob völkerrechtliche Verträge der kritisierten Regelung entgegenstehen, könne nur vor den Verwaltungsgerichten geklärt werden. Im Mai hatte das Bundesverwaltungsgericht mit Blick auf ein Europäisches Fürsorgeabkommen festgestellt, dass Flüchtlinge, die nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt sind, auch nach Umzug in ein anderes Bundesland Sozialhilfe erhalten müssen.
Anwendung findet die Regel derzeit vor allem auf so genannte De-facto-Flüchtlinge, deren Asylverfahren zwar erfolglos beendet wurde, die aber aus humanitären Gründen oder weil keine Flugverbindung besteht, dennoch nicht in ihr Heimatland abgeschoben werden können. Nach Zahlen des Bundesinnenministeriums leben in Deutschland derzeit rund 370.000 De-facto-Flüchtlinge. CHRISTIAN RATH
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