: Hafentalk zum Thema Selbstbestimmung
■ „Flexibilisierung und Prekarisierung“: Das Ahoi veranstaltet heute die 1. Folge einer Talkshow-Reihe. Ein Interview
Der Autonomieclub ist eine Gruppe, die sich mit den Bedingungen von Selbstbestimmung bei kollektiver Tätigkeit, aber auch in anderen Arbeitsverhältnissen auseinandersetzt. Eine Talkshowreihe soll nun den Diskussionsrahmen erweitern. Wir sprachen mit zwei Beteiligten.
taz hamburg: Vor einiger Zeit schien es, als befände sich die Talkshow in einer Krise. Der Autonomieclub wird nun mit fünf Folgen eine Talkshowreihe im Ahoi veranstalten. Ein Rettungsversuch?
Helmut: Die Talkshows werden nach meinem Gefühl vor allem deswegen kritisiert, weil die ZuschauerInnenzahlen zurück gehen, was natürlich kein Wunder ist. Nach meiner Erfahrung sind Podiumsveranstaltungen häufig inhaltlich erschlagend, wenn es um Theorie geht. Dabei wird es Menschen schwer gemacht, einen Einstieg in bestimmte Probleme und Fragenkonstellationen zu finden. Eine Talkshow muss ja nicht flach sein. Es gibt allerdings auch einen Linkspopulismus, von dem man sich scharf abgrenzen muss, der sich aber weniger an der Form, als an den Parolen festmacht.
Eine VertreterIn der Gruppe Blauer Montag wird bei der ersten Talkshow als Gast dabei sein. Der Titel wird „Flexibilisierung und Prekarisierung“ lauten. Kannst Du als Mitglied der Gruppe diese Begriffe kurz erläutern?
Hans: Ganz kurz zu Flexibilisierung: Einerseits ist Lohnarbeit immer weniger an einen bestimmten Ort gebunden, so dass die sozialen Bezüge der Menschen beeinträchtigt werden. Andererseits sollen die Leute bereit sein, ihre Arbeit so zu entgrenzen, dass sie auch zeitlich den Betrieben flexibel zur Verfügung stehen. Merkwürdigerweise wird diese Entwicklung häufig als ein Mehr an Selbständigkeit wahrgenommen. Ich denke, das Gegenteil ist der Fall. Das Leben wird verstärkt um die Arbeit zentriert eingerichtet. Der Begriff Prekarisierung bedeutet Randständigkeit. Diese betrifft nicht nur eine Gruppierung wie das ärmste Drittel der Bevölkerung, sondern durchaus auch einen Computerspezialisten, dessen soziale Bezüge im Zusammenhang mit Flexibilisierung aufgelöst werden.
Was unterscheidet ein junges New Economy Unternehmen, in dem die Arbeitnehmer durch Aktien Teilhaber des Betriebs sein können, von einem linken Kollektiv?
Helmut: Der Umgang mit Krankheit oder schwächerem Leis-tungsvermögen ist sehr unterschiedlich. Auch die Arbeitszeiten unterscheiden sich. Darüber hinaus kommen die meisten Kollektive aus einer Bewegung, die das Kapitalverhältnis in dieser Gesellschaft kritisiert und intervenieren möchte.
Es liegt eine unterschiedliche Vorstellung davon zugrunde, wie Gesellschaft aussehen sollte?
Hans: Auch hinter einem neuen Unternehmen kann anfangs der Gedanke von emanzipatorischer Intervention als Projekt stehen, zum Beispiel gegen ein Monopol in der Musikindustrie gerichtet. Die Arbeitsteilung ist auch dort zuerst oft kollektiv. Eine formale Hierarchisierung ergibt sich im Zusammenhang mit den Zwängen des Marktes, zum Beispiel wenn das Unternehmen expandiert oder an die Börse geht. Andererseits ist ein sozialistisches Ideal noch keine Garantie dafür, dass sich nicht kapitalistische Verhältnisse einschleichen.
Inwiefern ist die Kritik der Linken an Arbeitsverhältnissen und ihr Vokabular, wie zum Beispiel Eigenverantwortlichkeit, in die neoliberale Theorie eingegangen?
Helmut: Das Problem der Verwässerung von politischen Zielen kennen wir ja vom Begriff der Menschenrechte. Aber da muss eben über eine inhaltliche Klarheit und Unversöhnlichkeit in der Forderung darauf beharrt werden, dass es Unterschiede gibt zwischen einer im Kapitalismus geforderten Eigenverantwortlichkeit und dem, was wir uns unter Autonomie vorstellen.
Bereitet es euch Unbehagen, dass dieses Interview zu der Talk-show auf der Kulturseite erscheint?
Hans: Das ist vollkommen in Ordnung, solange Kultur in dem Maße politisiert wird, wie die Politik kulturalisiert wird.
Interview: Sebastian Schinkel
Die Talkshow startet heute um 21 Uhr im Ahoi an der Hafenstraße/Balduintreppe. Weitere Folgen am 19.4., 17.5., 21.6. und 12.7. Die erste Folge wird vom Freien Sender Kombinat (93 MHz und 101,4 MHz im Kabel) mitgeschnitten und im April gesendet; die folgenden Talkshows sollen live aus dem Ahoi zu hören sein
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