Filmstarts à la carte: Untergangsstimmung
Da hatte man sich im Propagandaministerium des Dr. Joseph Goebbels alles so schön ausgedacht: Mitten im Zweiten Weltkrieg wurde der Regisseur Herbert Selpin beauftragt, einen - mit heftig antibritischer Tendenz versehenen - Spielfilm über den Untergang des Luxusliners Titanic auf Stapel zu legen. Eine dekadente, ausschließlich an materiellen Werten orientierte Gesellschaft sollte hier in ihren Untergang hineintanzen: verschuldete Aristokraten, geltungssüchtige Damen, geld- und machtgierige Finanzjongleure. Und die Börsenspekulanten würden dann letztlich auch den Untergang des Dampfers verschulden: Weil der Vorstandsvorsitzende der Reederei den Kursverfall seiner Aktien vermittels eines Weltrekords der Titanic für die schnellste Atlantiküberquerung aufhalten will, drängt er den Kapitän zu einer in der Treibeiszone unverantwortlichen Höchstgeschwindigkeit. Nur der besonnene Erste Offizier - natürlich ein Deutscher - versucht, das Unglück noch abzuwenden. Doch zum Entsetzen der Verantwortlichen im Propagandaministerium erwies sich der Film „Titanic“ von Beginn an als Katastrophenunternehmen. Durch allerlei Pannen verzögerten sich die Dreharbeiten, die Produktionskosten stiegen, und schließlich wurde auch noch Regisseur Selpin von der Gestapo verhaftet (und starb kurze Zeit später unter nie ganz geklärten Umständen) - er hatte gegenüber einem Admiral eine abfällige Bemerkung über die deutsche Marine gemacht und weigerte sich starrköpfig, sich zu entschuldigen. Auch der von Werner Klingler fertiggestellte Film entsprach keineswegs den Erwartungen im Ministerium: Zu deutlich waren plötzlich die Parallele vom absaufenden Dampfer zum untergehenden Großdeutschen Reich, und allzu offensichtlich erinnerten die Panikszenen an das reale Chaos der Bombennächte in den deutschen Städten. Und so wurde „Titanic“ kurz nach der Premiere im besetzten Paris wegen befürchteter defätistischer Tendenzen verboten. Eine Kinoauswertung erlebte der Film in der Bundesrepublik erst 1950, da die Westalliierten die „Titanic“ direkt nach dem Krieg erneut auf Eis legten. Die Russen hingegen fanden das Werk hingegen prima: als antikapitalistische Propaganda.
“Titanic“ 15.3. in der Urania
Auf eine ziellose Wanderschaft machen sich der italienische Komiker Toto und sein Filmsohn Nino Davoli in Pier Paolo Pasolinis „Große Vögel, kleine Vögel“: Auf schier endlosen Straßen durchqueren sie ländliche Gegenden und schäbige Neubaugebiete, und erleben acht- und teilnahmslos das Leid ihrer Mitmenschen. Weil sich das Leben im Allgemeinen als nicht übermäßig erfreulich herausstellt, hält der heilige Franziskus eine flammende Rede über die notwendige Veränderung der Gesellschaft - doch die beiden Toren begreifen ihn nicht. Auch der „linksphilosophische“ Rabe, der ihnen die Welt zu erklären versucht, wird als Festtagsbraten enden. Pasolinis Parabel schließt pessimistisch: Die Protagonisten werden so heiter, selbstsüchtig und dumm wie zuvor ihres Weges ziehen.
“Große Vögel, kleine Vögel“ 19.3. im Arsenal 2
Sie beschrieb die Welt der gemütlichen Kleinstädte: Astrid Lindgren, in deren Büchern es stets auch um die Toleranz gegenüber anderen Menschen geht, und um die Überwindung von Klassenschranken. Und wer könnte dies unbefangener und mit mehr Phantasie tun als Kinder? Auch in Göran Graffmans stimmungsvoll fotografiertem Kinderfilm „Madita“ (1979) wird sich die kleine Titelheldin, Tochter eines liberalen Zeitungsredakteurs, einen Ruck geben und sich mit der armen und sogar verlausten Mia anfreunden, und ihre Eltern werden die bornierte Bürgermeisterin düpieren, weil sie das Dienstmädchen mit zum Wohltätigkeitsball nehmen. Ein kindgerechter Heile-Welt-Klassiker, das definitive Kontrastprogramm zu den Pokémons dieser Welt.
“Madita“ 15.3.-21.3. im Broadway D, Eiszeit 2
Lars Penning
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