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„Wer zurücktritt, verliert sehr viel“

Der Parteienforscher Gero Neugebauer meint, CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky habe den richtigen Zeitpunkt für seinen Rücktritt längst verpasst. Ein Gespräch über Macht, Verlustängste und Rücktrittsgründe weltweit

taz: Herr Neugebauer, wenn Sie als Parteienforscher die Affäre um Klaus Landowsky beobachten: Finden Sie, er sollte vom Fraktionsvorsitz der CDU zurücktreten?

Neugebauer: Wenn er einen Beitrag leisten will zur Handlungsfähigkeit seiner Partei und sie stabilisieren will, muss er zurücktreten.

Warum aber fällt es Politikern so schwer, zurückzutreten – etwa Konrad Adenauer, Helmut Kohl, Roland Koch ...

... oder Kurt Biedenkopf oder Manfred Stolpe – oder Lothar Matthäus. Politiker sind in der Regel Menschen, die in Strukturen groß geworden sind, in denen sie erfahren haben, wie Macht oder das Ansehen in der Öffentlichkeit genossen werden können. Hinzu kommt – manchmal – der Zugang zu grauen Geldern. Offenbar entschädigt das dafür, dass man weniger verdient als etwa in der Wirtschaft. Wer zurücktritt, verliert viel im Sinne eines weiter gefassten Reichtumsbegriffs: Er verliert an Einfluss, an Beachtung, kann weniger Kontakte knüpfen.

Kann man auch zu früh zurücktreten?

Es ist schwierig, den richtigen Zeitpunkt zu finden – Politiker blenden häufig am Ende ihrer Karriere die Realität aus. Der ideale Zeitpunkt für einen Rücktritt ist dann, wenn der Politiker die negativen Folgen eines Bleibens im Amt für seine Partei und sein Amt erkennt.

Aber erkennen Politiker diese Gründe überhaupt?

Anscheinend nicht. Oft müssen sie ihnen bewusst gemacht werden. Das ist international verschieden. Korruption gilt fast überall als Grund. In Deutschland soll Außenminister Joschka Fischer wegen seiner Brutalität in der Vergangenheit zum Rücktritt gedrängt werden. In Amerika war es eine Sex-Affäre, die beinahe Clinton das Amt gekostet hätte. In der Bundesrepublik wäre das kein Grund für einen Rücktritt, denn so etwas wird als Teil der Privatsphäre verschwiegen, und das ist gut so.

Müssen Politiker zu ihrem Rücktritt gezwungen werden?

Bei Adenauer war das der Fall, zum Teil auch bei Kohl. In der CDU Berlin wurden bislang alle möglichen dynamischen, jungen Nachfolger Landowskys meisterhaft unterdrückt. Dabei ist es immer am besten, wenn man seinen Nachfolger beizeiten selbst aufbaut, um dann noch im Hintergrund Einfluss zu haben. Doch in der Berliner CDU sind die Machtverhältnisse derzeit völlig unklar, und der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen scheint Angst zu haben, selbst zu stürzen, wenn Landowskys weg ist. Offenbar fürchtet auch Landowsky, dass sein Rücktritt eine Schwächung der Partei bedeuten könnte. Dabei hat er den richtigen Zeitpunkt zum Rücktritt schon längst verpasst.

Wann wäre der gewesen?

Als er seinen Posten in der Bank aufgeben musste. Denn wenn jemand für ein Unternehmen nicht mehr tragbar ist, dann geht auch in der Öffentlichkeit seine Qualifikation als Politiker flöten.

Wer müsste Landowsky zum Rücktritt drängen?

Diepgen ist die überragende Figur in der Berliner CDU und bei den Wählern. Er müsste reinen Tisch machen. Doch je länger er wartet, umso mehr demontiert er sich selber.

Gibt es überhaupt positive Beispiele für gelungene Rücktritte?

Bei der SPD scheitern Politiker häufiger an den rigorosen Prinzipien der Partei, bei der FDP eher an politisch-finanziellen Verquickungen – etwa die Einkaufswagenmünz-Affäre von Jürgen Möllemann. Großartig zurückgetreten ist vielleicht nur Willy Brandt nach der Guillaume-Affäre. Helmut Schmidt hat als Bundeskanzler seinen faktischen Rücktritt 1982 besser inszeniert. Überhaupt ist die Inszenierung das Entscheidende. Bernhard Vogel macht das gut.

INTERVIEW: PHILIPP GESSLER

Der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer (59) ist Parteienforscher am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität.

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